Brasilien vor der Fußball-WM: Sicherheitspolitik der robusten Art

Vor dem Großereignis lässt die Regierung die Muskeln spielen. An den Grenzen stehen 30.000 Soldaten, in den Städten patrouilliert die Militärpolizei.

Damit's unterm Zuckerhut schön ruhig bleibt: In Rio übt die Militärpolizei die Aufstandsbekämpfung. Bild: imago/Christian Franz Tragni

RIO DE JANEIRO taz | Erst kommt die Militärpolizei, dann soll das Fußballfieber steigen: Rund 30.000 brasilianische Soldaten sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums seit dem Wochenende im Einsatz, um entlang der gesamten Landesgrenze Brasiliens eine gigantische Militäraktion abzuhalten – ein Mammutunterfangen. Brasiliens Landesgrenze ist knapp 17.000 Kilometer lang, das Flächenland ist größer als sämtliche Länder der Europäischen Union zusammen.

Bei der Operation „Ágata 8“ sollen Waffengattungen aller Art zum Einsatz kommen, unter anderem Helikopter und Militärschiffe. Außerdem sollen Polizeieinheiten Unterstützung leisten. Zwar findet eine derartige Aktion dreimal im Jahr statt, doch kurz vor dem Beginn der Fußballweltmeisterschaft will Brasiliens Regierung mit ihr vor allem ein internationales Zeichen der Stärke aussenden. Angeblich gilt die Operation der Bekämpfung von Waffen- und Drogenschmuggel sowie der illegale Einwanderung.

Am 12. Juni wird in der Wirtschaftsmetropole São Paulo die Fußballweltmeisterschaft der Herren angepfiffen – doch das Land hat mit zahlreichen politischen und sozialen Großbaustellen zu kämpfen. Immer wieder ließen auch Fußballfunktionäre in den letzten Wochen durchblicken, dass sie mit gemischten Gefühlen und Skepsis nach Brasilien reisen. Drei der WM-Stadien befinden sich noch im Bau, zahlreiche Flughäfen sind noch nicht wie geplant fertiggestellt, mindestens acht Menschen sind bereits bei den Bauarbeiten für die WM ums Leben gekommen. Erst am Wochenende wurden die Arbeiten an einem Airport in São Paulo ausgesetzt – aus Sicherheitsgründen.

In dem Land, in dem Anfang Oktober Präsidentschaftswahlen und damit eine Entscheidung über die Zukunft der an Zustimmung verlierenden Präsidentin Dilma Rousseff anstehen, wird die Weltmeisterschaft mit sehr gemischten Gefühlen gesehen. Viele BrasilianerInnen glauben, von der Regierung und dem Weltfußballverband Fifa beraubt zu werden: Während das Land die Kosten für die gigantischen Bauvorhaben – unter ihnen vier Stadien in Städten ohne Erstligamannschaften - aus Steuereinnahmen trägt, darf der Weltfußballverband seine erwarteten Milliardengewinne steuerfrei aus dem Land tragen.

Strafen für „Verbreitung von Panik“

Unterdessen liegen weite Teile des Gesundheits- und Schulsystems brach. In der Folge kommt es seit langem landesweit immer wieder zu Protesten. Am Wochenende und in der letzten Woche traten unter anderem Bankmitarbeiter in den Ausstand, Busfahrer legten die Arbeit nieder und Polizeigewerkschafter drohten damit, während der WM die Arbeit einzustellen.

Doch weil die Zeit drängt, reagiert Brasiliens Präsidentin Rousseff vor allem mit Sicherheitspolitik der robusten Art. Zwar machte sie nach den Massenprotesten im letzten Jahr auch soziale Zugeständnisse und gab neues Geld für Infrastrukturvorhaben aus – angesichts des nahenden Großereignisses müssen es nun aber vor allem Militär und Polizei richten. Als Reaktion auf Ausschreitungen entwarf der brasilianische Senat etwa ein sogenanntes Anti-Terror-Gesetz, das die „Verbreitung von Panik“ mit drakonischen Strafen belegen soll.

Im März hatte die Militärpolizei große Armenviertel in Rio de Janeiro besetzt, um sie aus der Hand von Drogengangs zu befreien. Nahezu täglich kommt es in Armenvierteln bei bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Gangs zu Toten und Verletzten. In Rio de Janeiro patrouillieren Militärpolizisten auch im Stadtzentrum und an Touristenorten. Wer an die Copacabana reist, muss von der brasilianischen Realität also nur einen Teil fürchten: Kleinkriminalität - und lauwarmen Winterregen.

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