Brandgutachten im Fall Oury Jalloh: Simulation eines Todesfalls

Mehr als elf Jahre nach dem ungeklärten Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Polizeizelle lässt die Staatsanwaltschaft den Brand nachstellen.

Ein Schweinefuß

Detailansicht des Dummys aus dem Brandtest Foto: dpa

DIPPOLDISWALDE-SCHMIEDEBERG taz | Unauffällig warten am Morgen die Mannschaftswagen der Polizei in den Nebenstraßen von Schmiedeberg. Sie rechnet mit Protesten. Das Institut für Brand- und Löschforschung liegt am Ortsausgang, ein leer stehendes Fabrikgebäude, auf der Straße eine kleine Mahnwache, Aktivisten in „Das war Mord“-Shirts. In dem 5.000-Einwohner-Städtchen in der Sächsischen Schweiz spielt heute der nächste Akt im Fall Oury Jalloh, einem der wohl mysteriösesten Fälle, in denen ein Mensch in den Händen der deutschen Polizei umkam.

Institutsleiter Thorsten Prein hält ein Funkgerät in der Hand. Transparent soll es zugehen, das hatte die Staatsanwaltschaft versprochen, nach all den Vertuschungsvorwürfen. „Sie dürfen jetzt hinein, aber nur Gruppen“, sagt Prein. Der Pulk drängt sich die Treppe hinauf. Der Zellenraum ist weiß, auf dem Boden eine aufgebockte Matratze, darauf ein nachgebildeter menschlicher Körper. Aus einem schwarzen T-Shirt und beiger Hose ragen in Alufolie eingewickelte Gliedmaßen, an den Enden Schweinefüße, noch blutig, der Kopf ist in Alufolie gewickelt.

Unter der Leichenpuppe liegen zwei Feuerzeuge. Die Staatsanwaltschaft will wissen, wie diese nach einem solchen Brand aussehen. Vor allem an dem Zustand des Feuerzeugs, mit dem dieser sich selbst angezündet haben soll, und dass erst zwei Tage später in Jallohs Zelle gefunden wurde, machen sich Zweifel an der offiziellen Version fest, nach der Jalloh den Brand selbst entfacht habe.

„Die Matratze kommt der chemischen Zusammensetzung der von damals so nahe wie möglich“, erklärt ein Mitarbeiter des Instituts. Die Puppe sei eine Mischung aus Ton und Vermiculit, ein Mineral, umgeben mit Schweinefett und Schweinehaut.

Tiefes Misstrauen

Nadine Saeed, eine Aktivistin der Initiative Oury Jalloh, steht zwischen den Fotografen. Sie atmet tief ein. „Das entspricht in keiner Weise der Zelle, in der Jalloh verbrannte“, sagt sie dann. „Die Matratze ist aufgebockt, die Zelle nicht gefliest.“ Das Misstrauen sitzt tief. Eine „Riesenverarschung“ sei das hier, sagt Saeed.

Beate Böhler, die Anwältin von Jallohs Familie, hat darauf geklagt, dass „dieses Spektakel“ für die Presse nicht zugänglich ist. Das Gericht lehnte ab. Jetzt will sie von Prein wissen, wie der die Simulation vorbereitet habe. Mit „Kleinsttests für chemische Analysen der Matratze“, sagt er. Böhler will die Akten dazu sehen. Die gebe es nicht, sagt Prein „Dann zweifle ich ihre Wissenschaftlichkeit an“, sagt die Anwältin. „Das steht ihnen frei“, sagt Prein.

Nach 36 Minuten wurde damals das Feuer gelöscht, ­genau wie heute

Dann kritisiert die Aktivistin Saeed, dass der Körper der Brandpuppe offen ist. „Da kommt sofort Sauerstoff rein, das Fett tropft raus und wirkt wie ein Brandbeschleuniger,“ sagt sie. „Das ist ein ganz anderes Brandverhalten.“ Ein ganzes Schweine hätte benutzt werden müssen. Ganze Schweine hätten nicht die Körpertemperatur von 36 Grad und verbrennen anders als ein lebendiger Mensch wie Jalloh, sagt Prein, der Institutschef.

Alle nehmen Platz im ersten Stock. Auf einer Leinwand sind Bilder von vier Kameras aus der nachgebauten Zelle zu sehen. Zwei Feuerwehrleute mit Atemschutzmasken und Helmen betreten die Zelle. Mit einem Feuerzeug zünden sie die Matratze in Höhe der Hüfte der Leiche an, dann gehen sie hinaus.

„Alles offen“

Die Anwältin filmt das Video ab. „Das dürfen sie nicht,“ sagt Prein streng. „Bei diesem Verfahren sind wichtige Aufnahmen verschwunden“, sagt Böhler. „Und ich sage ihnen als Hausherr, dass sie damit aufhören oder hier raus müssen.“ Sie packt ihr Telefon weg.

Nach 20 Minuten ist auf dem Wärmebild zu sehen, dass Kopf und Füße der Puppe noch nicht von den Flammen erreicht sind. Saeed klappt ihren Laptop auf. „Wollen Sie mal sehen, wie es in Wirklichkeit ausgesehen hat?“ Die Journalisten beugen sich zu ihr herüber. Sie zeigt ihnen das Bild aus der Dessauer Zelle. Eine von Kopf bis Fuß schwarz verkohlte Leiche, von der Matratze ist nichts übrig als Ruß, viel verbrannter, als bei der Simulation heute, darauf will sie hinaus.

Nach 36 Minuten wurde damals das Feuer in Dessau gelöscht, nach demselben Zeitraum wird auch jetzt gelöscht.

„Wir wollten den Brandverlauf ergebnisoffen nachstellen und das Mordverfahren zum Abschluss bringen“, sagt der Staatsanwalt Olaf Braun. Was er zu den verschwundenen Beweismitteln sage, will der Reporter wissen. „Sind das alles Zufälle?“ Das vermöge er „nicht zu beurteilen“, sagt Braun. Es gebe da nur „Spekulationen“. Tatsächlich sei in dem Fall „alles offen“. Mit dem Ergebnis rechne er in ein paar Wochen.

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