Brände in Flüchtlingsunterkünften: Die Täter bleiben unbekannt

Bis Ende Oktober wurden 78 Flüchtlingsunterkünfte angezündet, doch die Ermittler tappen im Dunkeln. Es fehlt der politische Handlungsdruck.

Feuerwehrleute löschen ein Haus

Die Feuerwehr ist machtlos. Die geplante Asylunterkunft in Weissach im Tal wird im August von den Flammen nahezu zerstört Foto: dpa

Anfang Oktober dringt ein 25-jähriger Mann in eine Mehrfamilienhaus im sauerländischen Altena ein. Er schleicht sich auf den Dachboden, durchtrennt das Kabel der Brandmeldeanlage, dann gießt er Benzin aus und legt Feuer. Im Erdgeschoss wohnen sieben syrische Flüchtlinge, darunter eine schwangere Frau. Weil Nachbarn sie warnen, können sie sich rechtzeitig in Sicherheit bringen.

Der Angriff in Altena reiht sich ein in eine beispiellose Welle rechtsextremen Terrors, den Deutschland in diesem Jahr erlebt. Bis Ende Oktober wurden 78 Flüchtlingsunterkünfte angezündet, mehr als die Hälfte von ihnen waren bewohnt. Nimmt man Stein- und Flaschenwürfe oder den Beschuss mit Feuerwerkskörpern dazu, sind es gar mehr als 500 Attacken. Statistisch gesehen, etwa zwei Taten pro Tag, bzw. Nacht.

Es ist ein – wortwörtlich unwahrscheinliches - Glück, dass dabei noch niemand zu Tode kam. Doch das nächste Solingen kommt ganz bestimmt. Wer dieser Tage nach Sachsen schaut, weiß: Auch Pogrome, wie sie sich Anfang der 1990er Jahre in Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen ereigneten, sind längst nicht mehr auszuschließen.

Die Angreifer können sich derweil in Sicherheit wiegen. Lediglich in zehn Brandfällen konnten Ermittler bislang überhaupt Verdächtige ausmachen, nur ein Täter wurde bisher verurteilt. Eine miserable Aufklärungsquote. Bei den Krawallen von Rechtsextremen, die Heidenau zwei Nächte infolge erschütterten, kam es zu einer einzigen Festnahme.

46 Mal hat es laut BKA 2015 in deutschen Flüchtlingsheimen gebrannt. Kaum ein Fall ist aufgeklärt. Wir ermitteln in alle Richtungen, sagt die Polizei stets. Aber was heißt das? Die Geschichte eines Falls aus der Oberpfalz lesen Sie in der Titelgeschichte „Die Stadt und die Flammen“ in der taz. am wochenende vom 31. Oktober/1. November. Außerdem: Wer gibt schon gerne zu, dass er kokst? Die Wahrheit darüber, was wir wann und wo nehmen, kennt das Abwasser. Und: Viele Deutsche mögen Halloween nicht. Dabei ist es das Fest gelungener Integration. Das alles gibt es am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Als vor einigen Jahren in Berlin Nacht für Nacht Autos brannten, ließ ein Ermittlungserfolg auch lange auf sich warten. Doch ganz anders als heute, waren die Brandstiftungen ein öffentliches Aufregerthema.

Nicht nur Berliner Sicherheitspolitiker überschlugen sich, um den Druck auf die Täter zu erhöhen. Der Staat sollte seine ganze Härte zeigen. Also wurden Sonderkommissionen gebildet, die Bundespolizei eingeschaltet, 400 Fahnder gingen auf die nächtliche Jagd, Hausprojekte wurden durchsucht. Keine Maßnahme war zu teuer, kein Spruch zu markig, es ging immerhin darum, Eigentumsrechte zu verteidigen und den Staat vor „linkem“ Terror zu schützen. Schließlich hatten die Fahnder Erfolg: Ein Serientäter ohne politisches Motiv gestand 67 Autobrandstiftungen. Er wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt.

In Altena wurde der Täter, von Beruf Feuerwehrmann, wenige Tage nach der Brandstiftung festgenommen, sein Komplize hatte sich der Polizei gestellt. Als Motiv gaben sie laut Polizei „Verärgerung über den Einzug von Flüchtlingen“ an. Der Staatsanwalt sah eine „persönliche Überzeugung, keine politische“ und setzte beide auf freien Fuß. Ihnen droht nun eine Anklage wegen schwerer Brandstiftung, nicht etwa wegen versuchten Mordes. Als Kritik laut wurde, verteidigte der Staatsanwalt seine Entscheidung. Er sagte, die beiden Männer hätten aus Angst gehandelt und fügte hinzu: „Eine rechtsradikale Einstellung besteht aus mehr als Fremdenhass.“

Sicher, dies ist die Einstellung eines einzelnen, und dennoch ist sie systematisch. Rassistische Gewalt erzeugt anscheinend weder bei Polizei, noch bei Innenpolitikern oder Staatsanwälten einen Handlungsdruck. Weder werden Strukturen in den Blick genommen, etwa die rechtsradikale „Bürgerwehr Freital“, die den Nährboden für solche Anschläge bereitet und als verfassungsfeindliche Organisation verboten gehört, noch sucht die Polizei mit aller Entschiedenheit nach den Tätern.

Was meinen Sie? Reagiert der Staat zu nachgiebig auf die anhaltende rechte Terrorwelle? Ist er nur unfähig oder schaut er bewusst weg?

Diskutieren Sie mit!

Die Titelgeschichte „Nach dem Feuer“ lesen Sie in der taz. am wochenende vom 31. Oktober/ 1. November 2015.

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