Bombardierter Tanklaster in Kundus: Ein verhängnisvoller Befehl

Ein Rückblick auf eine Serie von Fehlern und Lügen im Jahr 2009: Nach dem Luftangriff in Kundus wurde in Deutschland erstmals vom Krieg gesprochen.

Das ausgebrannte Wrack eines Tanklasters, der beim Luftangriff zerstört wurde. Bild: dpa

BERLIN taz | In der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 kreisten bei Kundus in Nordafghanistan zwei US-Bomberpiloten über zwei Tanklastwagen. Die Lkws waren zuvor von Aufständischen entführt worden, nun steckten sie im Bett des Flusses Kundus fest. Etwa 120 Menschen ringsherum versuchten, den Sprit daraus abzuzapfen.

Nordafghanistan ist der Bereich, in dem die Bundeswehr das Sagen hat. Im deutschen Lager von Kundus beobachteten Oberst Georg Klein und seine Offiziere das Geschehen an den Monitoren. Die US-Piloten warteten auf Kleins Befehl.

Kleins geheimdienstliche Quelle behauptete: Alles Taliban dort. Klein dachte, diese Aufständischen könnten mit den Lastern einen Anschlag auf das Lager planen.

Die Hinterbliebenen afghanischer Zivilopfer des Kundus-Bombardements dürfen auf Schadensersatz durch die Bundesrepublik hoffen. Ihre Klage ist zumindest nicht von vorneherein ohne Aussicht auf Erfolg.

Das Bonner Landgericht folgte zum Prozessauftakt am Mittwoch nicht dem Antrag der Bundesrepublik, die Klage aus mehreren Gründen als unzulässig abzuweisen. Die Bundesrepublik ist nach Ansicht der Kläger und ihrer Anwälte als Dienstherr des damaligen Kommandeurs Georg Klein zur Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld verpflichtet. (dpa)

„Um 1.51 Uhr entschloss ich mich“, den Lkw und die Menschen „zu vernichten“, schrieb Oberst Klein später an seine Vorgesetzten. Das heißt: Bombenabwurf. Die Bomberpiloten fragten noch einmal zurück. Klein richtete aus: Doch, es seien „troops in contact“, Soldaten vor Ort, die zu schützen seien. Die Bomben ließen die Tanklaster explodieren, es starben wahrscheinlich 91 Menschen, vor allem Zivilisten.

„Troops in contact“

Es war der folgenschwerste Befehl, den ein deutscher Soldat nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat. Er beruhte auf einer falschen Einschätzung, und er wurde durch eine Lüge bekräftigt: Es gab gar keine „troops in contact“, keine Feindberührung.

Schon im Laufe des Morgens des 4. September wurde das Ausmaß der Katastrophe von Kundus auch 4.500 Kilometer entfernt in Berlin deutlich. Afghanische, deutsche und Nato-Stellen gaben widersprüchliche Auskünfte. Die Bundesregierung war im Wahlkampfstress. Zum menschlichen und militärischen kam auch noch kommunikatives Versagen. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) sprach zur Bild am Sonntag: „Wer uns angreift, muss wissen, dass er bekämpft wird.“

„Unbeteiligte kamen vermutlich nicht zu Schaden“

Noch bis zum Nachmittag des 6. September lautete die offizielle Bundeswehr-Meldung: „Erfolgreicher Einsatz gegen Aufständische im Raum Kundus“, und weiter: „Unbeteiligte kamen vermutlich nicht zu Schaden.“

Aus der Bundestagswahl und dem Kabinettswechsel ging Franz Josef Jung als Arbeitsminister hervor. Doch es dauerte nicht lang, bis ihn die Fehlleistungen der Septembertage einholten – er musste zurücktreten.

Sein Nachfolger als Verteidigungsminister, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), hatte da bereits einen politisch wie rechtlich wichtigen Schwenk vollzogen: Er nannte das Geschehen in Afghanistan nicht mehr „Mission“ oder „Einsatz“, sondern „Krieg“. Dies bot auch Entlastung für Oberst Klein und die Bundeswehr. Im Krieg, da passieren halt so Dinge wie in Kundus.

Im Streit darum, wer was wann hätte wissen müssen, setzte Guttenberg den obersten deutschen Soldaten, Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan, sowie seinen Staatssekretär Peter Wichert vor die Tür. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags brachte in 55 Sitzungen bis Mitte 2011 wenig befriedigende Erkenntnisse zur Katastrophe von Kundus hervor. Weder Bundesanwaltschaft noch Bundeswehr leiteten ein Verfahren gegen Oberst Klein ein.

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