Blutrünstige TV-Krimis: Tod durch Fernsehen

Im ARD-Tatort wird so wenig gemordet, wie schon lange nicht mehr. Dennoch bleiben TV-Krimis deutlich tödlicher als die Realität.

Zwei Männer stehen neben einer Leiche, einer trägt einen weißen Kittel und hält ein Tütchen in der Hand

Wieder ein Toter mehr Foto: WDR/Thomas Kost

Kriminalstatistiken sind ja immer so eine Sache. Meist werden sie vor allem genutzt, um Angst zu machen oder eine bessere Ausstattung der Polizei zu fordern. Um so erfreulicher, wenn die Zahl der Opfer mal unübersehbar deutlich zurückgeht. In diesem Fall gleich um fast 50 Prozent – von 162 auf nur noch 85.

Das ist die Zahl aller Leichen, die im Jahr 2017 bei neu ausgestrahlten Tatorten in der ARD zu sehen waren. Im Jahr zuvor hatten die Statistiker der Fanseite tatort-fundus.de noch 162 tödliche Opfer des Verbrechens ermittelt.

Dennoch wurden in jeder der 35 neuen Folgen im Schnitt immer noch 2,43 Menschen gekillt. Beliebteste Tötungsart war bei den DrehbuchautorInnen das Erschießen. Gleich 24 Mal kam jemand durch eine oder mehrere Kugeln ums Leben. Sechs mal wurde jemand erschlagen, in fünf Fällen wurde ein Mensch erstochen. Weitere Todesursachen sind verbrannt, überfahren, vergiftet und erhängt. Vier wurden durch eine Bombenexplosion getötet.

Wer sich die Krimis Sonntag für Sonntag anschaut, bekommt ein eindrückliches Bild vom Zustand der Republik. Allerdings ein schiefes. Denn die Realität ist bei weitem nicht so blutig.

Blutschwemme in Münster

Das erkennt man etwa an einem Blick ins beschauliche Münster, das gleich zweimal pro Jahr als Kulisse für den Tatort mit dem laut Einschaltquoten äußerst beliebten Kommissar Thiel und dem Gerichtsmediziner Professor Börne herhalten muss. Aufs Jahr gerechnet verbrauchen die beiden – statistisch gesehen – im Schnitt fünf Mordopfer.

Hinzu kommt aber auch noch der Privatdetektiv Wilsberg, der für die gleichnamige Krimireihe im ZDF nach Mördern sucht. Im Jahr 2017 war er gleich in fünf Erstausstrahlungen zu sehen. Legt man auch hier die Opferrate des Tatort zu Grunde, gingen dabei insgesamt etwa 12 Menschen bei drauf. Macht zusammen: 17 Opfer von Mord und Totschlag in Münster binnen eines Jahres.

Ginge es tatsächlich brutal zu, wäre in der katholischen Provinzhauptstadt wohl der Teufel los. Laut Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes wurde im Jahr 2016 (Zahlen für dieses Jahr gibt es noch nicht) in Münster zum Glück nur ein einziger Mensch getötet. 2015 waren es zwei – ein absoluter Höchstwert. Denn in vielen Jahren kam dort überhaupt niemand durch ein Gewaltverbrechen ums Leben – außer in den Drehbüchern der Krimiautoren.

Von denen aber gibt es Unmengen. Schließlich braucht es stets frisches Blut für all die deutschen Krimiserien, egal ob sie nun Alles Klara, Bella Block oder Der Alte heißen, völlig wurscht ob sie in Barcelona, Istanbul oder Friesland spielen, einerlei ob die Soko in Kitzbühl, Köln oder Leipzig angesiedelt ist, ob die Ermittler Kommissar Luca, Helen Dorn oder schlicht Heldt heißen, und auch unabhängig davon ob die Toten im Bodensee, auf Usedom oder an der Hafenkante gefunden werden.

Bedarf: Jährlich 1.000 Leichen

Zählt man alle Folgen deutscher Krimiserien zusammen, die im Jahr 2017 allein von ARD und ZDF erstmals ausgestrahlt wurden, kommt man auf die mörderische Zahl von mindestens 414. Multipliziert mit der Tatort-Todesrate ergibt sich somit ein jährlicher Gesamtleichenbedarf von exakt 1.005. Und da sind die TV-Spielfilme, in denen ja auch gelegentlich mal jemand über den Jordan geschickt wird, nicht einmal mitgezählt.

Da beruhigt nur noch ein Blick in die nüchternen Zahlen des Bundeskriminalamtes. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik gab es in ganz Deutschland im Jahr 2016 nur 373 Mordopfer. Hinzu kommen weitere 503, die durch Totschlag oder Tötung auf Verlangen ihr Leben verloren – zwei neben dem klassischen Mord durchaus krimirelevante Straftaten.

Insgesamt aber gab es dennoch nur 873 Todesopfer in realita, also deutlich weniger als die hochgerechneten 1.000 TV-Leichen. Damit wird klar: wer in Deutschland lebt, wird mittlerweile wahrscheinlicher Mordopfer in einem TV-Krimi von ARD und ZDF, als dass man tatsächlich umgebracht wird.

Das liegt nicht nur an der kontinuierlichen Zunahme von TV-Krimis bei ARD und ZDF in den letzten Jahren, sondern auch am gleichzeitigen Rückgang der echten Gewaltkriminalität.

Denn im Jahr 2000 gab es noch 1.015 Opfer von Mord und Totschlag in Deutschland, 2016 waren es fast 14 Prozent weniger. Während uns das Fernsehen also eine zunehmend brutale Fiktion vorspielt, wird das real life immer sicherer.

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