Black-Metal-Festival von Neonazis: Mal richtig abhitlern

Hakenkreuze und „Sieg Heil!“-Rufe: Beim Festival in Mailand gibt sich das Publikum ganz ungeniert. Hinter dem Event steckt ein rechtes Netzwerk.

Weißer Stoffbeutel mit Hitler-Konterfei

Einschlägige Devotionalien finden sich reichhaltig Foto: Christoph Nevic

MAILAND taz | „Haben sie Fotokameras dabei, Handys?“ Der freundliche junge Mann in Bomberjacke winkt die Gäste nach einem kurzen Blick in die Taschen routiniert zur Tür herein. Drinnen, in einer Veranstaltungshalle in der Via Vincenzo Toffetti 75 in einem Industrieviertel Mailands spielt die erste Band des Abends.

Schneidende, schnelle Gitarrenriffs und gekreischte Vocals, die sich aus der Kehle des schwarz gekleideten Sängers pressen. Noch ist die Luft kühl, das Publikum aber schon in Fahrt. Direkt an der Bühne steht ein junger Mann, kurz geschorenes Haar, schwarze Lederjacke, grüne Flecktarnhose. Über seine Schulter hängt ein bedruckter Stoffbeutel. Darauf prangt das Bild von Adolf Hitler. Wie ein Modeaccessoire.

Beim Hot Shower Festival in Italien ist Neonazismus Programm. Das macht es so attraktiv für seine Gäste aus ganz Europa – viele reisen auch aus Deutschland an. „Ein paar rechte Spinner, einfach ignorieren!“, könnte man meinen. Hinter dem Event steckt allerdings ein europaweites extrem rechtes Netzwerk, das von provokanten Metallern bis zu militanten Neonaziorganisationen reicht. Und genau diese Mischung macht es so gefährlich.

„Stolz wie Bolle“ ist Timo P. aus Rheinland-Pfalz bereits Monate vor seinem Auftritt in Italien. So schreibt er zumindest auf der Facebook-Seite seiner Band BLUTKULT. Kein Wunder, das Hot Shower ist mittlerweile eines der zentralen Events des europäischen NSBM-Untergrunds.

Satanismus mit ideologischer Steigerung

NSBM, National Socialist Black Metal, bezeichnet den extrem rechten Flügel eines ohnehin verruchten Genres. Black Metal, in den neunziger Jahren aus dem Death Metal entstanden, ist mit Versatzstücken aus dem Satanismus nicht nur seine ideologische Steigerung. Auch musikalisch hat sich Black Metal mit dem kreischenden Gesang, den polternden Drums und dem scheppernden Gitarrensound weit vom üblichen Metal wegentwickelt.

Berühmtheit erlangte das Genre schließlich durch eine Reihe von antichristlich motivierten Brandstiftungen an Kirchen durch Musiker in Norwegen in den 1990er Jahren und durch zwei Morde. Einen davon hatte Kristian Vikernes, Mastermind der Band Burzum, an einem befreundeten Black-Metal-Musiker verübt. Seine Inhaftierung und Bekenntnisse zum Neonazismus zementierten einerseits Vikernes’ Kultstatus in der Szene, legten aber auch das Fundament für ex­trem rechte Umtriebe im Black Metal.

„Sieg Heil!“-Rufe ersetzen den Applaus. Bei jedem Refrain schnellen die rechten Arme im Publikum in die Höhe

Laut Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) aus Wien hat sich das musikalische Angebot für Neonazis über die letzten Jahrzehnte stark diversifiziert: „Gab es früher vor allem den klassischen Rechtsrock und Liedermacher, findet der Neonazi von heute in nahezu jedem Musikgenre entsprechende Produkte vor.“ Dies diene einerseits zur Heranführung von Nachwuchs an die Szene, andererseits zur Finanzierung neonazistischer Strukturen, so Weidinger.

Texte, die eindeutig sind

Das weiß auch Timo P. Aus dem Umfeld der neonazistischen Kameradschaft „Aktionsbüro Mittelrhein“ mauserte sich der 34-Jährige zu einem emsigen Aktivisten der NSBM-Szene Deutschlands. An seinen musikalischen Fähigkeiten liegt dies wohl weniger. Seine Band BLUTKULT besticht nicht gerade durch technische Finessen. Beliebt ist vielmehr die explizite Message, die P. mit BLUTKULT verkündet.

Dies wurde ihm bei seiner Vorgängerband mit dem abstoßenden Namen KALTES JUDENLEDER beinahe zum Verhängnis. Nicht nur der Bandname lässt auf P.s Überzeugung schließen, auch die Texte bieten Einblicke, die man vielleicht gar nicht so genau bekommen will: „Beim nächsten Mal sind wir Ehrengäste, denn da verbrennen wir Judenreste. Die Schwulen hätten wir doch fast vergessen. Wir lassen sie unsere Scheiße fressen.“ Die Staatsanwaltschaft Koblenz leitete im Jahr 2012 Ermittlungen gegen P. ein.

Auch bei seiner aktuellen Band, BLUTKULT, lässt Timo P. keine Zweifel aufkommen: Auf dem Cover des Albums „Honour Him“, zu Deutsch „Verehrt ihn“, prangen nicht zufällig zwei große H. Eine Assoziation mit „Heil Hitler“ ist naheliegend. Pünktlich zum 20. April gratulierte P. „ihm“ auch dieses Jahr wieder auf Facebook. Genau eine Woche davor, gegen 19 Uhr, betritt P. die Mailänder Bühne.

„Sieg-Heil“-Rufe en gros

Eigentlich das zentrale Happening der europäischen Szene, ist das diesjährige Hot Shower Festival für die Veranstalter eher enttäuschend. Headliner aus den USA, ein erfolgversprechendes Line-up mit Bands aus Frankreich, Finnland, Österreich, der Schweiz und Deutschland. Doch gefehlt hat das Publikum. Fanden sich in den letzten Jahren bis zu 1.000 extrem rechte Metalfans in Mailand ein, so sind es dieses Mal maximal 400, die das Dritte Reich und seinen Führer hochleben lassen.

Das aber tun die wenigen ambitioniert. Spätestens bei Timo P.s Band kommt das Publikum in Stimmung. „Sieg Heil!“-Rufe ersetzen den Applaus. Bei jedem Refrain schnellen die rechten Arme im Publikum in die Höhe. Viele gehören Metallern in dunklen Lederjacken, mit einschlägigen Aufnähern und schweren Stiefeln; für ein Metalkonzert jedoch ungewöhnlich, sind viele kahl geschorene Köpfe darunter. Es gibt aber auch Ausnahmen, einen italienischen Jüngling etwa. Dem Äußeren nach kommt er als der perfekte Schwiegersohn daher, in hellem Jackett, Anzughose, mit nach hinten gekämmtem Haar und polierten Schuhen. Er könnte direkt vom Abiturball kommen, doch auch er: ein strammer Hitler-Verehrer, verbotene Grüße bis zum Abwinken.

Band mit Gitarrenmusiker auf einer Bühne

Auf dem Mailander Neonazi-Musikfest. Ein Bild aus der Handy-Kamera Foto: Christoph Nevic

Halb leer und kühl bleibt die geräumige Halle, mit ihrer prägnanten Decke im Schachbrettmuster dennoch; und der Merchandisestand von Hendrik Möbus, bepackt mit CDs und Shirts, ist weitgehend verwaist. Gelangweiligt sitzt der Mittvierziger im szeneüblichen Kapu hinter seinem Stand.

Der verurteilte Mörder mit dem Plattenlabel

Möbus hat schon unangenehmere Zeiten hinter sich. Er gilt seit Jahren als zentraler Akteur im europaweiten NSBM-Netzwerk. In seinen Jugendjahren gründet er mit zwei Freunden die Black-Metal-Band Absurd, die 1993 durch den gemeinsamen Mord an einem Mitschüler Berühmtheit in einschlägigen Kreisen erlangt. In Haft radikalisiert sich Möbus, sein neonazistisches Weltbild festigt sich.

Mittlerweile pflegt er durch seine Tätigkeit als Chef eines Plattenlabels sowie als Sänger der Band Absurd Kontakte zu Gleichgesinnten in aller Welt. Der Ticketverkauf für das Hot Shower Festival etwa läuft zur Gänze über Möbus’ Plattenlabel. Viele der Bands, die beim „Hot Shower“ promoted werden, stehen bei Hendrik Möbus unter Vertrag – insofern ist er nicht nur Überzeugungstäter, sondern auch ein Mann mit ausgeprägtem Geschäftssinn.

Bis heute ist das Hot Shower Festival ein Garant für neonazistisches Entertainment, und das völlig straffrei. In Deutschland werden das Zeigen des Hitlergrußes und das Verwenden von Hakenkreuzen nach Paragraf 86a des Strafgesetzbuchs strafrechtlich verfolgt. In Italien ist beides ebenfalls untersagt, die Durchsetzung des Verbots lässt allerdings zu wünschen übrig.

Fanden sich in den letzten Jahren bis zu 1.000 extrem rechte Metalfans in Mailand ein, so sind es dieses Mal maximal 400, die das Dritte Reich hochleben lassen

„Im Rahmen des Hot Shower Festivals gab es bisher offenbar keine strafrechtlichen Konsequenzen. Deswegen ist es vor allem für deutsche Neonazis attraktiv, Mailand zu besuchen“, weiß Moritz Eluek vom Berliner Antifaschistischen Infoblatt. Er beschäftigt sich seit Jahren mit den extrem rechten Tendenzen des Black Metal. Ihm zufolge war das Hot Shower jahrelang so wichtig, weil hier Kultbands der Szene exklusive Auftritte hatten. „Dazu kommt“, sagt der Kenner der Neonazi-Musikszene, „dass das Festival weniger konspirativ organisiert wird als Konzerte dieser Art in Deutschland.“ Dadurch werde ein Eventcharakter bekräftigt, so Eluek. Nicht-Insider bekämen einen leichteren Zugang zur Szene. Und tatsächlich: Über die sozialen Netzwerke wird das Festival öffentlich beworben, einzig der Veranstaltungsort wird erst Stunden vor Konzertbeginn bekannt gegeben.

Kein Blatt vorm Mund

Generell nehmen die Organisatoren des Hot Shower Festivals kein Blatt vor den Mund. Der Titel allein weckt schon Assoziationen mit NS-Gaskammern. Auch die Bewerbung strotzt nur so vor Anspielungen auf den Naziterror der 1930er und 40er Jahre und positiven Bezügen zu rassistischer Propaganda – sei es eine Comicfigur, die den rechten Arm zum Hitlergruß hebt, seien es Ku-Klux-Klan-Figuren in weißem Gewand. Die Tage davor posten die Organisatoren in einer geschlossenen Chatgruppe antisemitische Hetze und Motive mit Hakenkreuzen. Völlig ironiefrei, in klassischer Neonazimanier.

Timo P., der öffentlich unter einem Künstlernamen auftritt, steht auf der Bühne und greift in die Saiten. Seine langen Haare rahmen das Gesicht, das er für seinen Auftritt, einer Totenmaske nachempfunden, schwarz-weiß geschminkt hat. Dutzende Männer vor der Bühne grölen im Chor „Sieg Heil!“. Einer von ihnen, vielleicht 50 Jahre alt, mit nacktem Oberkörper, tätowiert, und Glatze, erzählt begeistert, er sei extra aus Portugal angereist. P. wippt mit seinen ungeschnürten Stiefeln im Takt. Er genießt es sichtlich, im Scheinwerferlicht zu stehen, und singt kehlig ins Mikrofon. Mehr als Wortfetzen wie „Volk und Vaterland“ sind nicht zu verstehen. Abgesehen davon fällt P.s Musik heute aus dem Rahmen. Mäßig mitreißende Balladen mit verstärkter Gitarre und Schlagzeug. Beschaulich im Vergleich zu den schnellen Riffs und hämmernden Drums der folgenden Bands.

Am Rand der Halle stehen Männer mit kurzen Haaren und einheitlichem Outfit. Sie lassen ihre Blicke durch das fast ausschließlich männliche Publikum schweifen. Für die Geschehnisse auf der Bühne interessieren sie sich weniger. Sie sorgen im Zuschauerbereich für Ordnung – oder zumindest für das, was sie darunter versehen. Ihre Aufnäher zeigen gekreuzte Hämmer vor einem Zahnrad in den Farben Schwarz-Weiß-Rot. Es ist das Logo der Hammerskins vor der Fahne des Deutschen Reichs. Die Hammerskins sind eine weltweit konspirativ agierende neonazistische Bruderschaft. Sie sind streng hierarchisch organisiert und haben sich die „Reinheit der weißen Rasse“ auf ihre Fahne geschrieben.

Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW), ein Experte für die extreme Rechte, bezeichnet die Hammerskins als eine Vereinigung mit „extrem hoher Gewaltbereitschaft und vielfach kriminellem Aktivitätenspektrum.“ In Mailand sind sie abgestellt, um das Fotoverbot durchzusetzen. Nach Angaben von Moritz Eluek vom Antifaschistischen Infoblatt kommen Veranstalter von Neonazi-Konzerten wie in Mailand nicht an den Hammerskins vorbei: „Das läuft wie bei Schutzgelderpressungen. Wenn du vom Kuchen nichts abgibst, dann wirst du bedrängt und attackiert.“ Somit würden die Organisatoren des Festivals nicht nur in die eigene Tasche, sondern auch in die einer militanten Neonaziorganisation wirtschaften.

Ein T-Shirt mit Auschwitz und „Refugees welcome“

Dass das Mailänder Nazi-Happening auf Konsum ausgelegt ist, zeigt das breit gefächerte Angebot an Merchandise. Auf unzähligen Tischen am Rand der Halle gibt es fast alles zu kaufen, was das Neonaziherz begehrt. Neben Tonträgern und bedruckter Bekleidung reihen sich Aufnäher an Schmuck. Fast jeder Tisch hat seine eigenen Varia­tionen von Artikeln mit Hakenkreuzen. Unter das Motiv des Eingangs zum KZ Auschwitz wird ein T-Shirt mit dem Spruch „Refugees welcome“ angeboten. Hier kann man Bilder und Taschen von Adolf Hitler und anderen Nazigrößen erwerben, genauso wie neofaschistische Magazine, CDs mit Titeln wie „Rassenhass“ und entsprechende Fahnen. Eine davon, die rote Fahne mit dem Hakenkreuz, wird während des Festivals mehrmals von Besuchern gehisst. Auch während Timo P.s Auftritt.

Noch Anfang 2017 postete Timo P. auf Facebook: „Das Kapitel KJL ist hiermit offiziell abgeschlossen.“ Kurz zuvor war er vom Vorwurf der Verbreitung von Propaganda und des Verwendens von Symbolen verfassungswidriger Organisationen freigesprochen worden. Jahrelange Ermittlungen gegen KALTES JUDENLEDER fanden damit ein Ende. Die Staatsanwaltschaft war der Meinung, die Inhalte der Band seien „menschenverachtend, brutal, beleidigend, und faschistisch“. Dies allein reiche jedoch nicht für einen Schuldspruch, urteilte das Amtsgericht Betzdorf im Januar 2017. „Dass die Lieder öffentlich und einem großen Kreis zugänglich gemacht werden sollten, dieser Nachweis könne nicht erbracht werden“, verlautbarte das Gericht damals. Bei seinem Auftritt in Mailand am 13. ­April soll Timo P., so Ohrenzeugen, auch Lieder von KALTES JUDENLEDER zum Besten gegeben haben – dieses mal vor mehreren Hundert Menschen.

Kiew, Zentrum der Black-Metal-Nazis

Dabei ist Hot Shower nicht die einzige Möglichkeit für die deutschen Urlauber, „mal richtig abzuhitlern“, wie es in internen Social-Media-Gruppen heißt. Viele der in Mailand Anwesenden sind mit ähnlicher Zielsetzung auch schon in Kiew gewesen. In der ukrainischen Hauptstadt, wo die ex­treme Rechte weitgehend frei agieren kann, findet alljährlich das Asgardsrei statt. Es ist das weltweit größte Festival aus dem Nazi-Black-Metal-Spek­trum. Im Dezember 2018 fanden sich bis zu 1.500 Menschen in der im Zentrum Kiews gelegenen Veranstaltungshalle ein. „Sieg Heil!“-Rufe und neonazistische Symbole waren auch hier Fixbestandteil des Programms, obwohl Letztere genauso wie Embleme des Kommunismus seit 2015 verboten sind.

Kopf und Sprachrohr der ukrainischen Szene ist der 34-jährige russische Staatsbürger Alexey Levkin. Levkin ist Sänger der Black-Metal-Band M8l8th. Die Zahlenkombination 88 im Bandnamen steht für „Heil Hitler“. Mit seinem Laden in der Kiewer Innenstadt, einem Label samt Onlinehandel und den Einnahmen am „Asgardsrei“ hat Levkin wirtschaftlich Anteil am europaweiten NSBM-Netzwerk. Außerhalb dessen ist er in den neonazistischen Strukturen der militärischen Einheit Asow sowie deren parlamentarischen Arm der National Corps eingebunden. Diese setzen auch den ideologischen Rahmen des Festivals, eine Konferenz mit dem Namen „Pact of Steel“. Neben Olena Semenyaka, einer Sprecherin des National Corps der Ukraine, beteiligte sich auch Hendrik Möbus aus Deutschland an der völkisch ausgerichteten Tagung mit einem Redebeitrag.

„Während sich das Hot Shower Festival vor allem durch seinen Eventcharakter auszeichnet, ist Asgardsrei in Kiew wegweisend für eine Neuausrichtung innerhalb der NSBM-Szene, eine politischere Ausrichtung,“ erklärt Moritz Eluek vom Antifaschistischen Infoblatt. Hendrik Möbus sei auch in diesem Rahmen „ein Netzwerker und Ermöglicher.“

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