Berlins Piraten vor dem Absaufen: „Die Wähler sind heute enttäuscht“

An diesem Wochenende treffen sich die Piraten zum Landesparteitag. Wo deren Wähler in Zukunft ihr Kreuzchen machen könnten, erklärt Forscher Carsten Koschmieder.

Die Ära der Piraten neigt sich dem Ende zu Foto: dpa

taz: Herr Koschmieder, PiratenwählerInnen sind alle jung, finden Politik eigentlich blöd und hängen den ganzen Tag im Internet rum, oder?

Carsten Koschmieder: Auch wenn viele Parteimitglieder diesem Bild entsprechen, trifft es allenfalls auf einen kleinen Teil der Wählerinnen zu. Bei der letzten Berlin-Wahl ließen sich vor allem zwei Wählergruppen identifizieren: Zum einen die sogenannten Digital Natives, für die Internetthemen sehr wichtig sind – für den einen, politischen Teil von ihnen, weil da eine gesellschaftliche Vision mit dranhängt. Für einen anderen, größeren Teil aus einem defensiven Impuls heraus: Die Politik will das Internet angreifen, also wähle ich die Partei, die verspricht, es zu verteidigen. Die zweite Gruppe, die größer ist als diese beiden Spielarten der Digital Natives zusammen, das sind die Unzufriedenen, die dem politischen System insgesamt ablehnend gegenüberstehen.

Klassische Protestwähler!?

So werden sie oft genannt, aber ich würde sie nicht so bezeichnen, weil das verkennt, dass sie sich schon bewusst eine Partei aussuchen und nicht völlig willkürlich irgendeine Partei jenseits der Etablierten wählen. Die Piratenpartei konnte da mit ihren beiden Metathemen punkten, nämlich Transparenz und Beteiligung. Die Leute hatten 2011 das Gefühl, dass diese Partei es wirklich anders machen will und das auch bei sich schon umsetzt.

2011 konnten die Piraten mit 8,9 Prozent ein Ergebnis erzielen, das ihnen niemand zugetraut hatte. Woran lag das?

Das hatte auf jeden Fall auch mit den Rahmenbedingungen zu tun: Das Thema Vorratsdatenspeicherung war in aller Munde, der Ruf nach mehr Transparenz und Beteiligung war damals noch originell, sowohl von der desaströs aufgestellten FDP als auch von den auf Regierungsoptionen fokussierten Grünen haben sich viele nicht mehr repräsentiert gefühlt. Dazu kommen weitere Faktoren – Berlin war von Beginn an Piraten-Hochburg, der Wahlkampf war originell, die Berichterstattung überwiegend positiv. Das war eine richtige Aufwärtsspirale, die da stattgefunden hat.

Die nach der Wahl schnell vorbei war.

Ja, das muss man so sehen. Die meisten der Wähler dürften heute enttäuscht sein: Die Partei hat sich in aller Öffentlichkeit selbst zerlegt und damit bewiesen, dass Transparenz nicht immer gut ist. Von den hochgejubelten neuen Beteiligungsformen ist nicht mehr viel übrig. Es mag sein, dass die Partei in Sachen netzpolitische Kompetenz weiterhin einen Vorsprung hat – das ist aber nicht wahlentscheidend. Das Problem ist ja: Die Leute müssen nicht nur irgendwie okay finden, was die Partei macht, sondern sie müssen für sich entscheiden, dass ihnen diese Themen wichtiger als alle anderen Themen sind, und dass sie dieser Partei auch zutrauen, sie umzusetzen. Das halte ich beim jetzigen Zustand der Partei für sehr unwahrscheinlich.

Wo werden die Piratenwähler jetzt ihr Kreuz machen?

Die Piratenwähler vom letzten Mal waren aus allen Wählerschaften gewechselt – genauso können sie auch jetzt wieder zu allen Parteien zurückkehren. Viele werden wieder Kleinstparteien wählen – aus deren Wählerschaft hatten die Piraten besonders viele Stimmen abgezogen –, andere wohl gar nicht zur Wahl gehen.

Besteht Gefahr, dass sich die Wählergruppe der Unzufriedenen jetzt der AfD zuwendet?

Von allem, was wir über diese Wähler wissen, ist das nicht unwahrscheinlich. Die wählen diejenigen, die es am besten schaffen, sich als Partei jenseits des Politikbetriebs zu präsentieren, als eine, die wirklich jenseits des Establishments steht. Nicht zuletzt wegen der großen Medienaufmerksamkeit schafft das die AfD gerade sehr gut.

Was geblieben ist vom Versprechen der Piraten, alles anders zu machen, lesen Sie in der taz.am wochenende

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