Berlins Finanzsenator tritt ab: Der geliebte Sanierer

Wie hat es Ulrich Nußbaum geschafft, den Berliner Haushalt auf Sparkurs zu halten und beliebtester Politiker der Stadt zu sein?

Ulrich Nußbaum (r.) nach seiner letzten Senatssitzung am Dienstag. Daneben der künftige Regierende Bürgermeister Müller. Bild: dpa

Es ist einer von diesen ersten Adventsabenden mit der allgegenwärtigen Beleuchtung, die Besinnlichkeit vorgeben und doch mehr Termine bedeuten. Einer allerdings, der an diesem Abend mit dem Wagen durch Berlin unterwegs ist, wird tatsächlich weniger Termine haben, noch bevor die dritte Kerze brennt – jedenfalls als Finanzsenator. Am Donnerstagvormittag endet im Abgeordnetenhaus nach fünfeinhalb Jahren die Amtszeit von Ulrich Nußbaum. Doch Ärger oder Frust – oder adventlich ausgedrückt „Kummer und Gram“? Davon findet sich nichts, als die Stimme Ulrich Nußbaums durchs Telefon dringt, auch wenn diese Amtszeit wegen des Regierungschefwechsels früher endet als ursprünglich geplant.

Dinge bewegen

Mit Michael Müller als neuem Regierendem Bürgermeister, das wäre eben nicht gegangen. Nußbaum sagt das nicht so, aber das ist auch gar nicht nötig. Nicht nach der Vorgeschichte eines über ein Jahr andauernden Streits zwischen den beiden. Von Müller war zwar zu hören, man habe sich schließlich auf Druck des Noch-Regierenden Klaus Wowereit zusammengerauft. Aber beide haben deutlich genug erkennen lassen: Freunde wären aus ihnen nicht mehr geworden.

Er müsse schon überzeugt sein, dass er mit dem Regierungschef die richtigen Dinge bewegen könne, hat Nußbaum schon vor Jahren in einem Interview mit der taz gesagt.

„Hier nur zu bleiben, um Senator zu sein, wäre mir zu wenig.“ Also hat er seinen Rückzug angekündigt, als ein Müller-Sieg beim SPD-Mitgliedervotum im Oktober gegen seine Konkurrenten Raed Saleh und Jan Stöß zwar absehbar, die Sache aber noch nicht ausgezählt war.

Es verlässt der Mann die Landesregierung, der nicht nur den Haushalt saniert hat, was ihm nun viele zugute halten, die man um eine Bilanz seiner Arbeit bittet. Florian Graf etwa, der CDU-Fraktionschef: Nußbaum habe den Kurs der Großen Koalition „mit deutlicher Handschrift umgesetzt“. Aber ganz nebenher hat Nußbaum zwei Dinge geschafft, die zuvor ebenso wenig denkbar waren wie der Umstand, dass Berlin spart. Zum einen aus der Bremerhavener Provinz nach Berlin zu kommen und doch weltmännischer aufzutreten als mancher Berliner.

Und zum anderen trotz allen Sparens, abgeschlagenen Wünschen von Senatskollegen, Bezirken und Initiativen doch über lange Zeit und auch aktuell noch beliebtester Landespolitiker in Berlin zu sein. Über Vorgänger Sarrazin, weit vor all seinen umstrittenen Buchveröffentlichungen, hatte man noch bei Anti-Kürzungs-Demos auf Stoffbanner lesen können: „Die Kinder schrei’n, die Eltern flieh’n, da hinten kommt der Sarrazin.“ Nußbaum hingegen lag in den regelmäßigen Meinungsumfragen für die Berliner Zeitung über lange Zeit und auch aktuell noch auf Platz 1 der Rangliste der Senatoren und Fraktionschefs.

Heiko Herberg hat dafür eine frustrierende Erklärung. Die Berliner haben aus Sicht des Piraten-Abgeordneten inzwischen so wenig Vertrauen in ihre Politiker, hätten so oft erlebt, wie Millionen verschwendet wurden, nicht zuletzt beim Flughafenprojekt BER, dass sie es schätzen, wenn wenigstens einer das Geld zusammenhält wie Nußbaum. „Und das hat er gut gemacht“, gesteht Herberg ihm zu – bloß dass aus seiner Sicht Investitionen notwendig gewesen wären.

Dieser Dualismus ist von Haushaltspolitikern aller drei Oppositionsfraktionen zu hören: Nußbaum als Mann, der richtig Plan und eine ausgezeichnet arbeitende Finanzverwaltung habe und klare Linie halte, aber eben die falschen Schwerpunkte setze, weil mehr Investitionen ausblieben.

Und dann die Sache mit dem Weltmännischen. Metropole oder glamouröser Wowereit hin oder her: Als Nußbaum im Frühjahr 2009 nach Berlin kam, reichten gutes Aussehen, charmantes Auftreten, ein ordentlich geschnittener Anzug mit Einstecktüchlein passend zur Krawatte und ein schnittiger Bentley aus, um vor allem die Boulevardmedien ganz wuschig zu machen.

Das ist auch über fünf Jahre später nicht viel anders. Es gibt Menschen, die können sich drei Preisklassen über Boss-Niveau einkleiden und wirken dabei wie Schaufensterpuppen. Nußbaum lebte einfach seinen Stil. Oder anders gesagt: Er zog seinen Stiefel durch, ohne dabei en distance zu gehen. Auf den Gängen des Abgeordnetenhauses war er fast immer offen für einen Kommentar oder einen Schnack über dieses und jenes. Er war jenseits von Haushaltsfragen auch kompetenter Gesprächspartner, wenn es darum geht, Skigebiete in den Alpen abzugleichen, ohne dabei damit zu protzen, wie viel er sich was kosten lässt. Und wusste trotzdem, dass Berlin mehr ist als Oper, Restaurants der Borchardt-Klasse und Empfänge.

In den Medien ist er dennoch manches Mal als arrogant beschrieben worden. „So habe ich ihn eigentlich nicht erlebt“, sagt dagegen der Grüne Jochen Esser, über all die Nußbaum-Jahre sein Sparring-Partner im Hauptausschuss des Parlaments. Und wenn man sein Auftreten denn so nennen wolle, meint seine Kollegin Manuela Schmidt von der Linkspartei, „so einen Touch Arroganz braucht man auch in einem so schwierigen Ressort, schon als Selbstschutz“. Ausschusschef Fréderic Verrycken von der SPD sieht das ähnlich, „gerade in einem Ausschuss, dem es nun wirklich nicht an Selbstbewusstsein mangelt“. In der Rückschau sagte die Linke Schmidt, dass Nußbaum bei allen inhaltlichen Differenzen ein sachliches und offenes Verhältnis gepflegte habe. „Das war auch weiter so, nachdem wir 2011 in die Opposition gewechselt sind.“

Des Geldes wegen hätte Nußbaum sich den zeitaufwändigen Job als Finanzsenator übrigens tatsächlich nicht anzutun brauchen. Rund 140.000 Euro Jahresgehalt mögen für die meisten Menschen in Berlin viel Geld sein. Aber auf Führungsebene ist dieses Senatorensalär selbst für manchen Staatssekretär aus anderen Bundesländern eine Rückstufung. „Dass ich mich für Berlin engagiere, ist ein kostspieliges Projekt für mich“, sagte Nußbaum der taz schon 2010, „in der Zeit, in der ich hier bin, kann ich nicht mein privates Vermögen mehren wie vorher in meinem Unternehmen.“

Weichen stellen

Der heute 57-Jährige hatte schon ausgesorgt mit seiner Firma für Tiefkühlfisch, seinem früheren Leben, bevor er 2003 in Bremen als Parteiloser für die SPD Finanzsenator wurde. Im Gegenzug gab es für ihn Dinge, die man nur schlecht kaufen kann: Weichen für ein ganzes Bundesland stellen, machen, entscheiden. Auch deshalb war mutmaßlich Schluss für ihn im Bremer Senat, als das Finanzressort nach Neuwahlen an die Grünen ging und die SPD ihm stattdessen den Posten des Wirtschaftssenators anbot, ein Job, bei dem sich das mit den Weichen in Grenzen hält. „Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht“, sagte mal der frühere Berliner FDP-Chef Günter Rexrodt – und der musste es wissen als Bundeswirtschaftsminister. Offiziell lehnte Nußbaum den Job mit der Begründung ab, die Bremer SPD hätte ihn zum Parteieintritt gedrängt, den er bis heute verweigert.

Als nach zwei Jahren Politik-Pause 2009 Klaus Wowereit den Job in Berlin anbot, war schon die Ausgangslage eine Verlockung für einen, der Herausforderungen liebt: höchste Verschuldung aller Bundesländer, mit einem auf Kante genähten Haushalt, der auch unter Sarrazin mit einer Ausnahme nicht ohne neue Schulden auskam. Auf seiner abendlichen Autofahrt durch das adventliche Berlin zählt auch Nußbaum selbst es zu seinen größten Erfolgen, den Landeshaushalt konsolidiert zu haben, wie die Haushaltsmenschen es ausdrücken – gefestigt, würde man im Alltag sagen. Mehrere Jahre in Folge hat das Land inzwischen Überschüsse gemacht, Berlin konnte etwas von seinem Schuldenberg abtragen. Der ist immer noch über 60 Milliarden hoch, aber eben nicht mehr 63 und vor allem nicht jene 70, die er früheren Prognosen zufolge heute hätte erreichen müssen.

Echte Enttäuschungen will Nußbaum in seinem Amt nicht erlebt haben in all den Jahren in Berlin. Das wiederholt er auch auf erstauntes Nachfragen hin. Einen menschlichen Tiefpunkt aber stellt er heraus, und der liegt ebenfalls erst sechs Monate zurück. Da drohte ihm Thomas Heilmann vom Justizressort mit rechtlichen Schritten, als Nußbaum nach möglicher Befangenheit im Zusammenhang mit der Gasnetz-Vergabe fragte. „Das war unterirdisch“, sagt Nußbaum, ohne selbst Heilmanns Namen in den Mund zu nehmen.

Wie nun weiter nach dem 11. Dezember, wenn Wowereit zurückgetreten, Nußbaum entlassen und sein Nachfolger Matthias Kollatz-Ahnen vereidigt ist. Und wo? Anderswo in der Politik? Zurück ins eigene Unternehmen? Nußbaum lässt das im Dunkel der Berliner Adventsnacht, in der er seinem Termin entgegenfährt: „Genauso aktiv sein wie bisher, aber nicht mehr im politischen Amt“, sagt er.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.