Berliner Polizei: „Alleinunfall“ zu zweit

Die Verfolgung eines Radfahrers durch einen Motorrad-Cop bringt die Polizei in Bedrängnis. Zeugen widersprechen der offiziellen Darstellung.

Zeuge Arne Roof steht in seinem Laden am Fenster

Von seinem Fenster aus hat Arne Roof den Vorfall beobachtet Foto: M. Heim

Der Baum, gegen den der junge Radfahrer prallte, steht direkt vor dem Fenster von Arne Roofs Fahrradladen am Fuße des Kreuzbergs. Und so wurde der Ladenbesitzer Zeuge eines Unfalls, der der Polizei nun den schweren Vorwurf der Falschmeldung und groben Unverhältnismäßigkeit einbringt. Eine rote Ampel habe der 29-jährige Radfahrer überfahren, sich der Verkehrskontrolle entzogen und sei dann in einem „Alleinunfall“ ohne Fremdeinwirkung zu Schaden gekommen, meldet die Polizei einen Tag nach dem Unfall. Arne Roof will dagegen von seinem Fenster aus gesehen haben, dass der verfolgende Polizist, mit seinem Motorrad ebenfalls auf dem Gehweg fahrend, den Radfahrer abdrängte.

Laut Polizeimeldung vom 10. April hatte der Radfahrer tags zuvor gegen 13.40 Uhr eine rote Ampel an der Kreuzung Mehringdamm/Tempelhofer Ufer missachtet und sich anschließend der Überprüfung entzogen. Auf dem Gehweg sei er in Richtung Mehringdamm geflüchtet und von einem Polizisten auf dessen Motorrad mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn auf der Fahrbahn verfolgt worden. Wiederholte Zurufe anzuhalten, habe der Mann ignoriert und sei schließlich ohne erkennbare Fremdeinwirkung vom Gehweg der Kreuzbergstraße abgekommen und gegen einen Baum gestoßen. Dabei habe er sich so schwer verletzt, dass er mit einem Rettungswagen zur stationären Behandlung ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.

Als Arne Roof diese Polizeimeldung las, sei er „stinkwütend“ geworden. Schließlich hätten er und weitere Zeugen der Polizei schon am Tag des Geschehens vor Ort mitgeteilt, was sie gesehen hätten. In einem Face­book-Post am 11. April machte Roof seinem Ärger Luft. Der taz gegenüber schildert der Ladenbesitzer seine Beobachtungen so: Er habe gerade mit einem Kollegen am Verkaufstresen gestanden, als sie draußen laute Sirenen in unmittelbarer Nähe hörten. Roof brauchte nur zwei Schritte zum Fenster. Gerade in diesem Moment seien der Radfahrer und der Motorradpolizist mit „ordentlicher Geschwindigkeit“ angebraust gekommen. Mit seinem Motorrad habe der Polizist den Radfahrer touchiert, der daraufhin gegen die Begrenzung um den Baum vor Roofs Laden gefahren und mit großer Wucht gegen den Baum geprallt sei.

Der Mann habe laut aufgeschrien und sei dann auf der umzäunten Baumscheibe in gekrümmter Haltung liegen geblieben, bis ihn Sanitäter ins Krankenhaus transportierten. Ein anderer Zeuge, der auf der höhergelegenen Terrasse am Kreuzberg Boule gespielt habe, habe sogar gesehen, wie der Polizist dem Radfahrer in den Lenker gegriffen habe. Beide Zeugen hätten mit mehreren Polizisten direkt nach dem Unfall gesprochen und ihre Sicht der Dinge geschildert. Die Polizisten hätten sogar seinen Blickwinkel fotografiert. Die Darstellung des „Alleinunfalls“ in der Polizeimeldung sei insofern ein Frechheit.

Erweiterte Ermittlungen
Arne Roof, Zeuge

„Hier an der Ecke ist direkt ein Kinderladen, da ist es doch Wahnsinn, mit dem Motorrad auf den Gehweg zu fahren.“

Die mögliche Falschdarstellung durch die Polizei ist das eine Problem, die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes das andere. „Hier an der Ecke ist direkt ein Kinderladen“, sagt Roof, „hier ist immer viel los, da ist es doch Wahnsinn, mit dem Motorrad auf den Gehweg zu fahren.“

Zumindest das Social Media Team der Polizei reagierte umgehend und postete unter Roofs Facebook-Beitrag: „Der Inhalt Ihres Beitrages wiegt schwer.“ Der Verkehrsermittlungsdienst werde sich für eine Zeugenaussage mit ihm in Verbindung setzen. Am Montag schließlich veröffentlichte die Polizei eine Ergänzung ihrer ursprünglichen Meldung. Man habe die Ermittlungen auf den „polizeiinternen Bereich ausgeweitet“.

Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte erst kürzlich angekündigt, dass in solchen Fällen künftig eine Polizeidirektion ermitteln soll, zu der die beteiligten Polizisten nicht gehörten. Dem vorausgegangen war die Debatte um den Fall eines tödlichen Zusammenstoßes eines Polizeiwagens mit einer unbeteiligten Autofahrerin im Jahr 2018, bei dem die Alkoholisierung des fahrenden Polizisten möglicherweise vertuscht wurde (taz berichtete). Tatsächlich ermittelt im aktuellen Fall eine andere Direktion als die, zu der der Motorradpolizist gehört.

Fälle wir der tödliche Unfall 2018 und die späteren Entwicklungen hätten dafür gesorgt, dass die Polizei sensibilisiert sei, kommentiert Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, die internen Ermittlungen. Zur Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes verweist er darauf, dass die Kollegen binnen Sekunden entscheiden und Risiken abwägen müssen. Sie könnten auch nicht wissen, welche anderen Rechtsverstöße der Flucht vorausgegangen seien. „Wenn sich das Geschehen im Nachhinein aber ganz anders darstellt als zunächst gemeldet, wirft das sicher kein gutes Licht auf die Berliner Polizei.“ Man müsse allerdings beachten, dass die Kollegen oftmals Meldungen anhand der vorliegenden Erkenntnisse herausgeben und diese sich Tage später ganz anders darstellen können.

Der Baum, an dem sich der Unfall ereignete

Unfallbaum an der Kreuzberger Straße Foto: M. Heim

Die Sicht der Zeugen dürfte der Polizei allerdings zum Zeitpunkt der Meldung bereits bekannt gewesen sein. Sollten sich deren Darstellungen bestätigen, gehen die Fragen weiter. „Ob eine Verfolgungsjagd mit dem Motorrad auf dem Gehweg nach einem Rotlichtverstoß noch verhältnismäßig ist, da habe ich sehr große Zweifel“, lautet etwa die Einschätzung von Leif Hermann Kroll, seit 15 Jahren Verkehrsrechtsanwalt in Berlin.

Die Ermittlungen müssten nun ergeben, „ob der Anlass noch im Verhältnis zu den polizeilichen Maßnahmen steht“, sagt auch ein Sprecher der Polizei. Direkt nach dem Gespräch mit der Reporterin trafen jedenfalls die intern ermittelnden Beamten in Arne Roofs Fahrradladen ein, um den Zeugen erneut zu befragen. Der gestürzte Radfahrer soll inzwischen auch vernommen worden sein.

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