Berliner Jugendämter: Kinderschutz braucht Personal

Mitarbeiter der Jugendämter sind überlastet, der Krankenstand ist hoch, die Bezahlung mies. Verdi ruft am Tag der Einheit zum Protest auf.

Lehrerin Mina Hagedorn (45) ist gut vorbereitet für die Demo Foto: dpa

Seit sechs Jahren ist Mina Hagedorn Grundschullehrerin in Kreuzberg. Wiederholt hatte sie in dieser Zeit mit dem bezirklichen Jugendamt zu tun. Etwa, weil ein Schüler oder eine Schülerin eine Lern- oder Sozialtherapie brauchte. Dabei habe sie eine krasse Entdeckung gemacht, berichtet Hagedorn. „Fast alle Mitarbeiterinnen vom Jugendamt, die ich wegen Kindern meiner Klasse getroffen habe, waren kurz danach entweder monatelang krank oder haben gekündigt.“ Dabei seien die Leute extrem engagiert gewesen.

Unter dem Motto „RSD in Not“ ruft Verdi am morgigen Mittwoch am Alexanderplatz zu einer Kundgebung auf. „RSD“ steht für „Regionaler Sozialpädagogischer Dienst“. Bei den Jugendämtern sind das die Abteilungen, die für den Kinderschutz zuständig sind. Das reicht von der Gewährung von Hilfen zur Erziehung bis hin zur Herausnahme von Kindern aus Familien. Alle Jugendamt-Abteilungen hätten Personalprobleme, bestätigt Anna Sprenger, Verdi-Gewerkschaftssekretärin für Soziales und Erziehung. Aber beim RSD sei die Situation besonders schlimm. In Extremfällen komme es vor, dass ein Sozialarbeiter bis zu 120 Fälle zu bearbeiten habe. Bis zu 100 Fälle pro Fachkraft seien in manchen Bezirken der Normalfall. In Tempelhof-Schöneberg sei die Belastung in den letzten Jahren besonders schlimm gewesen. Erst vor Kurzem habe sich die Situation etwas entspannt.

Berlinweit sind von rund 890 Stellen bei den Regionalen Sozialpädagogischen Diensten rund 145 Stellen nicht besetzt (Stand 31. August 2018). In Treptow-Köpenick, Mitte, Reinickendorf, Steglitz-Zehlendorf, Kreuzberg, Lichtenberg, Pankow und Neukölln ist die Situation inzwischen immerhin so, dass maximal 10 Stellen nicht besetzt sind. In Tempelhof-Schöneberg sind es dagegen 25, in Marzahn- Hellersdorf 17, in Charlottenburg-Wilmersdorf 18, in Spandau 14.

Aus fachlicher Sicht wäre es wünschenswert, dass eine Fachkraft nicht mehr als 65 Fälle bearbeite, sagte die Grünen-Abgeordnete Marianne Burkert-Eulitz. Für diesen Schlüssel setzt sich auch Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) ein, wie ihre Sprecherin bestätigt. Das Problem ist nur: Es gibt im sozialen Bereich einen großen Fachkräftemangel. Angesichts der großen Verantwortung, die man in dem Job trage, sei die Bezahlung zudem ausgesprochen schlecht, so Burkert-Eulitz. „Anderswo kann ein Sozialarbeiter deutlich mehr verdienen.“

Die Kundgebung findet am Mittwoch von 11.00 bis 12.00 Uhr am Alexanderplatz statt. Ver.di ruft zur Teilnahme auf. Das Motto: „RSD in Not“.

Die Regionalen Sozialen Dienste führten 2018 schon zweimal zu parlamentarischen Anfragen, von Marianne Burkert-Eulitz (Grüne) und Emine Demirbüken-Wegner (CDU). Man findet sie auf den Seiten des Parlaments, Drucksache 18/13995 und 18/16195. (plu)

Die große Arbeitsbelastung und der hohe Krankenstand führten dazu, „dass viele in einen anderen Job flüchten“, bestätigt Anna Sprenger von Verdi. Ihre Forderung lautet: Fallzahlen begrenzen, mehr Personal einstellen und eine bessere Bezahlung. Andere Bundesländer bezahlten die Fachkräfte beim RSD deutlich besser als Berlin. Die Differenz bezifferte Sprenger auf 400 bis 600 Euro pro Monat. Bei den nächsten Tarifverhandlungen müsse es endlich einen deutlichen Schritt nach vorne geben, was die Bezahlung betrifft, ließ Senatorin Scheeres auf Nachfrage mitteilen.

Zum Thema Jugendämter findet am Dienstag ein Gespräch auf Staatssekretärsebene statt, teilte die Sprecherin der Finanzverwaltung mit. Die Lehrerin Mina Hagedorn geht am Mittwoch zur Kundgebung. Das Transparent ist schon fertig. Sie habe es für die PolitikerInnen extra „in einfacher Sprache“ gehalten, erklärte Hagedorn.

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