Berliner Grünen-Chef zu Enteignungen: „Die Politik muss sich mehr trauen“

Die Grünen sind jetzt auch für Enteignungen von Wohnungsunter­nehmen – aber nur nach bestimmten Kriterien, sagt Landeschef Werner Graf.

Bezieht Position in der Enteignungsdebatte: Werner Graf, Landeschef der Berliner Grünen Foto: picture alliance/Christoph Soeder/dpa

taz: Herr Graf, in einem Antrag für die Landesdelegiertenkonferenz der Berliner Grünen am Mittwoch heißt es sinngemäß zur laufenden Enteignungsdebatte: Vergesellschaftung als letztes Mittel – ungern, aber wenn nötig, dann ja. Damit hat sich die Parteispitze der Grünen doch jetzt festgelegt, oder?

Werner Graf: Da steht nicht nur die Parteispitze dahinter, sondern ein breites Bündnis – unter anderem auch Verkehrssenatorin Regine Günther. Im Übrigen kommt unsere Unterstützung für die Ziele des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ ja nicht aus heiterem Himmel. Wir haben schon vorher gesagt, dass wir uns das prinzipiell als letztes Mittel vorstellen können. Aber wir wollten nicht einfach diese Forderung übernehmen, ohne eigene differenzierte Kriterien zu entwickeln.

Das Volksbegehren will pauschal alle Immobilienunternehmen, die in Berlin mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, rekommunalisieren. Wie sehen die Kriterien der Grünen konkret aus?

Unser Ziel muss schon sein, dass wir Unternehmen, die sich korrekt verhalten, nicht bestrafen. Aber der Mietspiegel muss eingehalten werden, mit Leerstand darf nicht spekuliert werden, VermieterInnen müssen gewillt sein, in ein Mietenmoratorium mit einzusteigen. Da wird man gucken müssen: Was kann man gesetzlich festlegen? Was kann man durch Abwendungsvereinbarungen klären? Beim Vorkaufsrecht funktioniert das ja ganz gut. Wir betreten mit der Anwendung von Artikel 15 des Grundgesetzes …

Werner Graf

leitet die Berliner Grünen seit Dezember 2016 gemeinsam mit Landeschefin Nina Stahr.

… das die ­Vergesellschaftung von Grund und Boden ­erlaubt …

… wir betreten da für den Wohnungsmarkt Neuland: Was Enteignungen beim Autobahnbau oder beim Bau von Kohlekraftwerken betrifft, gibt es Erfahrungen. Deshalb sind qualitative Kriterien und der Dialog mit allen Akteuren wichtig und nicht eine womöglich rechtlich unsichere Obergrenze, wie sie das Volksbegehren fordert.

Was, glauben Sie, ist denn tatsächlich möglich im Dialog? Um das Vorkaufsrecht zu umgehen, nutzen viele Immobi­lien­unternehmen sogenannte Share Deals, bei denen nicht die Häuser an sich, sondern Anteile an den besitzenden Gesellschaften verkauft werden – als scheunentorbreites Schlupfloch.

Werner Graf, Berliner Grünen-Chef

„Die privaten Investoren lachen sich doch jetzt ins Fäustchen“

Da ist wieder mehr möglich, wenn die Politik sich mehr traut. Wenn wir jetzt mit der Wohnungswirtschaft verhandeln, dann lachen sich die privaten Investoren doch ins Fäustchen. Und wenn die Unternehmen über Share Deals kommunales Vorkaufsrecht umgehen, dann kann ein Gesetz über Vergesellschaftung natürlich richtig sein.

Als Ultima Ratio – die man eigentlich nicht will, aber mit der man gut drohen kann?

Natürlich sind private Investoren und Fonds dafür da, ihren Einlegern Rendite zu erwirtschaften. Profitorientiert zu sein ist ihre Aufgabe. Aber wir haben als Politiker eben auch eine Verantwortung, dem etwas entgegenzusetzen: Die neoliberalen Ideen der Vergangenheit haben uns große Probleme beschert.

Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" will alle Unternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, rekommunalisieren. Ende April hieß es seitens der Initiative, man habe bereits mehr als 20.000 Unterschriften gesammelt – genug, um bei der Innenverwaltung Antrag auf ein Volksbegehren zu stellen. Für einen Volksentscheid wären in einem zweiten Schritt 170.000 Unterschriften nötig.

Bisher hat sich nur die Linke hinter die Forderung der Initiative gestellt, etwa bei ihrem Landesparteitag am Samstag. Die SPD will bei einem Parteitag im Herbst entscheiden. (taz)

Sie meinen den Verkauf vieler städtischer Wohnungen in den nuller Jahren, auch in Berlin.

Wir sehen nicht, dass das In­strument das Entscheidende ist, sondern das Ziel eines ge­meinwohlorientierten Wohnungsmarkts. Und wenn die Unternehmen merken, wir meinen es ernst, dann ist wieder eine andere Debatte möglich. Grundsätzlich denke ich aber auch, dass man sich dem Dialog nicht entziehen sollte. Das gehört sich in einer demokratisch verfassten Gesellschaft so.

Sie wollen auch auf kleinere Unternehmen schauen. Warum, glauben Sie, ist das nötig?

Es gibt größere Unternehmen wie die evangelische Hilfswerk-Siedlung, da wüsste ich nicht, warum man denen an den Kragen soll. Gleichzeitig will ich nicht, dass ein Vermieter mit drei Wohnungen davonkommt, wenn er seine MieterInnen rausmodernisiert. Wir brauchen differenzierte Kriterien.

Morgen stellt Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) den neuen Mietspiegel vor. Offenbar hat sich das Wachstum der Mieten verlangsamt, sie steigen mit jährlich 2,5 Prozent nur noch halb so schnell wie vor zwei Jahren. Grund zum Aufatmen?

Nee, dafür hat sich der Wohnungsmarkt insgesamt zu sehr zugespitzt. Jeder vierte Umzug in Berlin hat Verdrängung als Grund.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.