Berlin öffentliche Bibliotheken: Bücher brauchen Haus und Chefin

Die Grünen-Fraktion will der Bibliotheken-Misere eine Ende bereiten: Ein Entwicklungsplan soll ebenso her wie eine Entscheidung für den Ausbau der AGB.

Mehr als die Bücher wachsen der Kreuzberger AGB die NutzerInnen über den Kopf: Für 500 am Tag war das Gebäude einmal gedacht, heute sind es an Samstagen manchmal weit mehr als 4.000 Foto: dpa

Es ist ein ziemliches Paradox: Berlins öffentliche Bibliotheken sind die nach NutzerInnen-Zahlen erfolgreichsten Kultur- und Bildungseinrichtungen der Stadt. Die Amerika-Gedenkbibliothek am Halleschen Tor – einer der beiden Standorte der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) – platzt an manchen Tagen aus allen Nähten. Gleichzeitig ist die Planung eines Neubaus für die ZLB de facto eingeschlafen, und viele Bezirksbibliotheken haben mit Unterausstattung zu kämpfen.

Das wollen die Grünen jetzt endlich ändern: Am Freitag kürten Fraktionschefin Antje Kapek, die grüne Vorsitzende des Kulturausschusses, Sabine Bangert, und der kulturpolitische Fraktionssprecher Daniel Wesener die Entwicklung der Berliner Bibliothekslandschaft zum einem ihrer diesjährigen Arbeitsschwerpunkte.

Taufrisch ist das laufende Jahr zwar auch nicht mehr, aber dafür soll es jetzt knackig an die Arbeit gehen. Noch im Spätsommer, so Kapek, müsse der Senat die entsprechenden Entscheidungen herbeiführen: Ein Bibliotheks-Entwicklungsplan soll her, eine Festlegung auf einen Single-Standort für die ZLB – und die Neubesetzung der fachlichen Leitung der Zentral- und Landesbibliothek, die seit dem Weggang ihrer letzten Direktorin Claudia Lux im Jahr 2012 vakant ist. „Geredet haben wir genug, jetzt müssen wir ins Handeln kommen“, so Kapek kämpferisch.

In der Standortfrage haben sich die Grünen längst festgelegt: Die AGB soll auf dem heute als Grünanlage genutzten Blücherplatz erweitert werden. Im Rahmen der Mittelfristigen Finanzplanung ist eine Summe in der Größenordnung von 360 Millionen Euro abrufbar, seit der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit einen prächtigen Neubau auf dem Tempelhofer Feld vorantrieb – was dann am Volksentscheid zur Freihaltung des Feldes scheiterte.

„Keine zweite Staatsoper“

Überhaupt nichts hält Antje Kapek vom immer noch diskutierten Alternativstandort Marx-Engels-Forum: „Das kommt für uns nicht in die Tüte. Jeder weiß, wie schwierig der Baugrund dort ist, und wir wollen keine zweite Staatsoper.“ Im Übrigen gebe es für den Blücherplatz einen gültigen BVV-Beschluss, während in Mitte schlimmstenfalls noch jahrelange Debatten geführt werden müssten.

Aber ein Gebäude allein macht die LeserInnen der Stadt auch nicht glücklich – daher die Forderung nach einem Entwicklungsplan, der Bedarfe und Ausstattung klar festlegt, und nach einer fachlichen Leitung. Die Geschäftsführung der ZLB durch den „Managing Director“ Volker Heller reiche einfach nicht aus, ein Haus in dieser Größe adäquat zu führen, so Sabine Bangert. Sie wiederholte die schon des Öfteren von ZLB-Mitarbeitern vorgetragene Kritik, dass die Beschaffung des Medienbestands outgesourct wurde – zuletzt an den Großbuchhändler Hugendubel. „Wir befürchten eine Verflachung des Angebots“, warnte Bangert.

Für die Leitung des Hauses wünscht sich die Kulturausschuss-Chefin deshalb eine Art weiblichen Paul Spies: jemanden mit der fachlichen Kompetenz und den Visionen des Direktors der Stiftung Stadtmuseum, aber eben keinen Mann – weil man Frauen an der Spitze von Berlins Kultureinrichtungen immer noch „mit der Lupe suchen“ müsse.

Daniel Wesener schließlich machte sich zum Fürsprecher der Bezirks- und Stadtteilbibliotheken. Das Land müsse im Rahmen des geforderten Entwicklungsplans Verantwortung für diese extrem wichtigen Bildungseinrichtungen übernehmen, die “eine lange Leidensgeschichte hinter sich haben“. Die Zahl der öffentlichen Büchereien sei in den vergangenen Jahren auf weniger als die Hälfte geschrumpft, der Anschaffungs-Etat auf zwei Drittel, die Zahl der Mitarbeiter von einst 1.000 auf rund 700. „Dabei sind wir eine wachsende Stadt“, so Wesener.

Mehr Geld pro Kopf

Leider gälten die Bibliotheken als freiwillige Leistung der Bezirke – „da wird dann gerne etwas abgeknapst“. Zurzeit schwanke die Summe, die pro EinwohnerInnen-Kopf und Jahr in Medien investiert werde, je nach Bezirk zwischen ca. 90 Cent und 1,50 Euro. Das müsse vereinheitlicht und verbindlich gemacht werden, sagte der grüne Kulturpolitiker. Auf einen genauen Betrag wollte er sich nicht festlegen, aber: „Im Jahr 2005 waren aus fachlicher Sicht 1,50 Euro ermittelt worden. Ich wage die Prognose, dass wir heute einen höheren Wert erreichen würden.“

Dabei geht es natürlich längst nicht mehr nur um Bücher, sondern auch um digitale Medien und Infrastruktur. Hier komme es heute in einigen Bibliotheken zu der absurden Situation, so Wesener, dass zwar digitale Arbeitsplätze in ausreichender Zahl vorhanden seien – aber kein Breitband-Internet, um diese auch zu nutzen. Ob der Knoten beim Thema Bibliotheken wirklich noch in diesem Jahr platzt, bleibt abzuwarten. Zurzeit bereitet die Grünen-Fraktion einen Antrag vor, mit dem sie den Senat zum raschen Handeln auffordern will.

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