Bergbau in Peru: Im Höhenrausch

La Rinconada in Peru ist die höchstgelegene Stadt der Welt. Es gibt nur einen Grund, warum dort Menschen leben: Gold, viel Gold.

Giftdämpfe, Kälte, schwere Arbeit und dünne Luft: Die Bewohner von La Rinconada nehmen für ihren Traum vom Reichtum viel in Kauf. Bild: Sebastian Erb

LA RINCONADA taz | Als er vor mehr als 30 Jahren zum ersten Mal nach La Rinconada kam, hätte Víctor Mejilla nie gedacht, dass dieser unwirtliche Ort einmal seine Heimat sein würde. Wieso sollte man hier leben? Allein schon die dünne Luft haut einen um.

Heute ist er früh aufgestanden. Sechs Uhr, die Sonne ist gerade aufgegangen, Don Víctor, Anfang 50, sitzt im Radiostudio, einem Holzkasten mit Glasscheiben, er trägt eine dicke rote Jacke und Handschuhe. Wenn er lacht, blitzt es golden in seinem Mund. Er fährt die Musik herunter und spricht ins Mikrofon. „La voz del minero“ heißt seine Sendung auf Radio Latina, 100,3 Megahertz, „Die Stimme des Bergmanns“. Die Themen, um die es geht, betreffen hier alle.

Denn es gibt nur einen einzigen Grund, warum in La Rinconada überhaupt Menschen leben: Gold, viel Gold. Während in den großen Tagebauminen in Peru pro Tonne Gestein ein bis vier Gramm Gold gewonnen werden, sind es hier bis zu 250 Gramm.

Die Stadt wirkt wie ein Ufo, das aus Versehen in der kargen Landschaft der peruanischen Anden gelandet ist. Kleine Wellblechhütten ziehen sich den Hang hinauf in Richtung Gletscher. Sie haben nur einen Raum, keine Küche, kein Bad – und keine Isolierung. Dabei wird es vor allem nachts eisig kalt, auch mal 20 Grad unter Null. Im Zentrum gibt es auch größere Häuser, ineinander verschachtelt, aus Backstein erbaut, unverputzt, bis zu sieben Stockwerke hoch.

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La Rinconada liegt so hoch wie keine andere Siedlung weltweit: 5.015 Meter über dem Meeresspiegel, so steht es auf dem Ortsschild. Das ist höher als der Mont Blanc. Ganz am Rande der Welt liegt dieser Ort und erzählt gerade deshalb eine Menge über das Wesen der Menschen, ihre Leidensfähigkeit – und die gravierenden Nebenwirkungen beim Streben nach Glück und Profit.

Don Víctor war gerade 18 Jahre alt, als er La Rinconada wegen eines Fußballspiels besuchte. Er kam wieder, um zu arbeiten – und blieb. „Damals haben vielleicht 300 Leute hier gewohnt und wir kannten uns alle.“ Aber dann zogen immer mehr hierher, Glücksritter, Geschäftsleute. Heute dürfte die Stadt zwischen 40.000 und 50.000 Einwohner haben. „Der Regierung“, sagt er, „war das Schicksal von La Rinconada von Anfang an völlig egal.“

Es stinkt, süßlich, stechend

Auf der Straße ist das Leben aufgetaut. Es geht zu wie in einem Ameisenhaufen, eng, voll, wuselig. Einigermaßen befestigt sind nur die beiden Hauptstraßen, die durch Treppen miteinander verbunden sind. Alle anderen Wege bestehen aus Schotter und zähem grauen Schlamm. Es stinkt, süßlich, stechend.

Der Weg zu den Minen führt durch die Einkaufsstraße, hier bekommt man fast alles: Schuhe, Fernseher, Monopoly-Spiele. Bergleute kommen einem entgegen. Manche tragen den Helm mit der Lampe noch auf dem Kopf, andere in der Hand.

Das Stollenfeld sieht aus wie ein riesiger Sandkasten gefüllt mit Schotter. Überall wird gebuddelt. Ein Vorderkipper fährt vorbei, Männer schleppen gelbe Plastiksäcke auf dem Rücken, gefüllt mit 30 bis 40 Kilogramm Gestein. Frauen sitzen auf den Abraumhalden und klopfen Steine, den ganzen Tag. Unter Tage arbeiten zwischen 8.000 und 12.000 Bergleute für insgesamt 450 Unternehmer. Manche haben mehrere hundert Arbeiter unter Vertrag, andere nur eine Handvoll. Es ist eine Grauzone. Der informelle Bergbau ist nicht illegal, aber auch nicht reguliert – noch nicht.

Kein festes Gehalt, aber eine Chance auf das große Glück

Eine örtliche Besonderheit: Die Bergleute bekommen kein festes Gehalt, sondern arbeiten fast den ganzen Monat unbezahlt für die Firma – und danach ein paar Tage nur für sich. Das Gold, das sie in dieser Zeit finden, dürfen sie behalten. Der sogenannte Cachorreo ist eine Lotterie, an der die Bergleute sehr hängen. Denn mit etwas Glück können sie hier richtig viel Geld verdienen.

Darauf nimmt auch Víctor Mejilla Bezug, als er bei einer Bürgerversammlung auf dem Hauptplatz das Wort erhebt, es geht um aktuelle Themen, die die Stadt bewegen. „Viele verschließen die Augen und Ohren vor den Ergebnissen unseres Protestes“, ruft er. „Aber wir haben doch erreicht, dass das Präsidialdekret 27 den Cachorreo als Bezahlmethode anerkennt.“

Er spricht als Präsident des Comité de Lucha. Das ist eine Organisation, die sich für die Interessen der Bewohner einsetzt, gegenüber der Kommunalverwaltung oder der Regierung in Lima. Manche versuchten, die Bevölkerung zu spalten, warnt Don Víctor. „Das müssen wir verhindern!“

Kein fließend Wasser, kein Abwassersystem

Er ist stolz darauf, dass sie es geschafft haben, überhaupt eine Gemeinschaft aufzubauen. Die Eltern haben Geld gesammelt, damit für die Grundschule neue Klassenzimmer gebaut werden konnten. Aber es bleibt noch viel zu tun. Nach wie vor gibt es weder fließend Wasser noch ein Abwassersystem.

Der Staat ist nicht sehr präsent in La Rinconada, aber manchmal fährt er dick auf. Im Zentrum wird ein neuer Platz eingeweiht: Betonmäuerchen, gelb und rot gestrichen, Beete mit Kunstrasen. Bürgermeister José Mamani Yucra sitzt mit einem halben Dutzend weiterer Würdenträger an einem langen Tisch. Nacheinander greifen sie nach dem Mikrofon – und loben vor allem sich selbst. Schließlich haben sie den Anwohnern ein „schönes Bauwerk“ geschaffen. Nur: Kaum einer interessiert sich dafür.

Viele in der Stadt kritisieren den Bürgermeister. Er sei nie da, tue viel zu wenig. Er weist das zurück. Er arbeite ehrenamtlich und müsse oft unterwegs sein, um Mittel zu akquirieren. Er hat keinen leichten Job. La Rinconada ist offiziell nicht einmal eine richtige Stadt, sondern als „Centro Poblado“ einer Hauptgemeinde untergeordnet, die Gelder bewilligen muss.

„Compro oro“, steht an Rosalinas Laden, „ich kaufe Gold“

Die Bewohner selbst seien mit Schuld daran, dass in La Rinconada vieles nicht so gut läuft, sagt der Bürgermeister. „Sie müssen sich mehr für ihre Stadt engagieren.“ Viele kämen nur, um auf die Schnelle Geld zu verdienen.

An Rosalinas Geschäft hängt ein buntes Schild in einem Design, wie es zu einer Spielhalle passen würde. „Compro oro“ steht darauf, ich kaufe Gold. Im einzigen Raum steht ein abgewetztes Ledersofa, auf dem Tresen eine goldene Winke-Katze. Mehrere Dutzend solcher Geschäfte gibt es in der Stadt, sie haben alle exakt denselben Stil.

Rosalina ist 23 Jahre alt, rundes Gesicht, große Ohrringe, eine Wolldecke nutzt sie als warmen Rock. Seit knapp einem Jahr arbeitet sie hier. Inzwischen hat sie eine Freundin mit ins Boot geholt. In Juliaca, dreieinhalb Busstunden tiefer, haben sie Rechnungswesen studiert, jetzt arbeiten sie jeden Tag und spekulieren auf schnellen Gewinn. Ein Eldorado auf Zeit.

Peru ist der größte Goldexporteur Südamerikas

Rosalinas Ankaufgeschäft ist der letzte Schritt der Goldproduktion. Zuerst werden die Steine zerkleinert, dann kommen sie in eine Trommel, die an eine Waschmaschine erinnert. Quecksilber wird dazu geschüttet und in einigen Stunden löst das Schwermetall das Gold vom Gestein und verbindet sich mit ihm. Das Amalgam bringen die Bergleute zu Rosalina, in einem gasbetriebenen Ofen erhitzt sie es. Zurück bleibt pures Gold.

„Hier oben gibt es einfach mehr Möglichkeiten“, sagt Rosalina. „Hier verdiene ich mehr.“ Das Gold verkauft sie weiter an einen Zwischenhändler, ein Großteil wird ins Ausland exportiert, vor allem nach Europa. Peru ist der größte Goldexporteur Südamerikas, der Bergbausektor verschafft dem Land fast zwei Drittel der Exporterlöse.

Über was Rosalina nicht so gerne spricht: Das Quecksilber ist hoch toxisch. Schon beim Mischen geht ein Teil des Gifts in die Umgebung ab, noch mehr wird beim Erhitzen durch die Schornsteine gepustet. Rosalina hat andere Sorgen: „Weil es hier viel Geld gibt, gibt es auch eine ganze Menge schlechter Dinge“, sagt sie nüchtern. „Prostitution, Alkohol, Drogen, viel Kriminalität.“ Sie will nicht hier bleiben.

Die Bergmänner tanzen in Arbeitsmontur

Samstagabend, in einem der vielen Nachtclubs. Lichteffekte blitzen durch die Dunkelheit. Es riecht nach Bier und Schnaps, der gesamte Boden ist mit einer klebrigen Plastikfolie bedeckt. Die meisten Bergmänner trinken und tanzen in Arbeitsmontur, vor allem trinken sie. Es läuft der 80er-Jahre-Hit „Live Is Life“.

Am Rand sitzen junge Frauen auf Barhockern, leicht bekleidet und geschminkt. Die Mädchen sollen die Männer zum Trinken animieren – und am Ende gehen sie oft miteinander ins Bett. So erklärt es Hermila Oblitos, die als Hebamme arbeitet und sich um jene in der Stadt kümmert, denen sonst keiner hilft.

Wie viele Barmädchen es in den rund 100 Nachtclubs gibt, weiß auch sie nicht. Sie ist sich aber sicher, dass sich auch viele Minderjährige prostituieren. Viele sollen aus dem Nachbarland Bolivien verschleppt worden sein. Aber meist haben die jungen Frauen keinen Ausweis und sind auch nicht bereit, gegen die Schlepper auszusagen.

Blutarmut, Atemwegserkrankungen, Arbeitsunfälle

Hermilas Oblitos’ Arbeitsplatz ist die Gesundheitsstation am Ortseingang. Hier zählt sie die Probleme auf, mit denen sich die Menschen in La Rinconada am meisten herumschlagen müssen: Blutarmut – im Vergleich zur Meereshöhe gelangt hier nur die Hälfte des Sauerstoffs in die Lungen –, Atemwegserkrankungen, Arbeitsunfälle. Viel könnte sie hier für ihre Patienten nicht tun, sagt Hermila Oblitos. Die einzige positive Entwicklung: Die Kinderarbeit wurde stark zurückgedrängt.

Die peruanische Regierung versucht jetzt, den Bergbau komplett in geordnete Bahnen zu lenken. Umwelt- und Arbeitsstandards sollen überall gelten, auch bisher unregulierte Bergbaufirmen sollen Förderzins und Steuern zahlen. Diese sogenannte Formalisierung ist ein komplizierter und langwieriger Prozess. Zuletzt sollte auch der Goldankauf neu geregelt werden. Rosalinas Zukunft: unklar.

Don Víctor spricht sich wie die meisten in La Rinconada für die Formalisierung aus. Gleichzeitig hat er die Sorge, dass die Bergleute am Ende als Verlierer dastehen. „Die großen Minenfirmen wollen den Kleinbergbau am liebsten verschwinden lassen“, sagt er. „Wenn es nach ihnen geht, werden wir am Ende als Illegale von unseren Arbeitsstätten vertrieben.“ Don Víctor befürchtet, dass der Stadt die Lebensgrundlage genommen wird. Man dürfe La Rinconada nicht verteufeln, sagt er.

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