Beratung zur „freiwilligen Ausreise“: Abschiebung kinderleicht

Ein Projekt des Roten Kreuzes erklärt Flüchtlingskindern im Comic die Rückkehr in die Herkunftsländer ihrer Familien. Aktivisten kritisieren das Vorgehen.

„Am Flughafen zeige ich den Polizisten mein Bilderbuch. Papa zeigt unsere Pässe.“ Bild: Bayerisches Rotes Kreuz Nürnberg

BERLIN taz | „Papa erzählt mir von dem Land, aus dem wir kommen. Dorthin werden wir bald zurückkehren.“ Mit diesem so harmlos anmutenden Satz beginnt eine Broschüre des Bayerischen Roten Kreuzes Nürnberg, die Kindern von Flüchtlingen ihre bevorstehende „Rückkehr“ in das Herkunftsland ihrer Eltern erklären will. In 25 Sequenzen mit bunten Bildern wird das ganze Szenario durchgespielt: Verabschiedung der Klassenkameraden, der Weg zum Flughafen, die Ankunft in der neuen, alten „Heimat“, Gefühle der Sehnsucht und das Ankommen bei den Großeltern.

Das als Hilfsangebot gedachte Comic entstand im Rahmen eines Projekts, das sich „Zentrale Rückkehrberatung für Flüchtlinge in Nordbayern“ nennt. In Kooperation mit der Arbeiterwohlfahrt und gefördert durch den Freistaat Bayern und den Europäischen Rückkehrfonds möchte das Nürnberger Rote Kreuz Beratungssuchenden Perspektiven in ihren „Herkunftsländern“ aufzeigen. Das Angebot richtet sich, so die Selbstbeschreibung, an all jene, „die vor der Frage einer Rückkehr stehen.“ Einer „freiwilligen Rückkehr“, wie es im Untertitel des Projekts heißt.

Doch dass es sich bei den Flüchtlingen, die sich an die Sozialarbeiter des Projektes wenden, keineswegs ausschließlich um solche handelt, die in ihre Herkunftsländer zurückkehren wollen, etwa nach Beendigung eines Krieges, bestätigt Ulrike Sing, Abteilungsleiterin Soziale Arbeit des BRK Nürnberg. Natürlich seien sie auch eine Beratungsstelle für Flüchtlinge, „die zurückkehren müssen“, sagt sie im Gespräch mit der taz. Alle Betroffenen können sich aber freiwillig an sie wenden.

Dass es überhaupt eine relevante Zahl von Flüchtlingen gibt, die von sich aus Deutschland verlassen wollen, bestreitet Matthias Weinzierl, der seit zehn Jahren beim Bayerischen Flüchtlingsrat arbeitet. Solche Fälle seien ihm „nur ganz selten“ untergekommen. Ganz ähnlich argumentiert Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer von „Pro Asyl“. Auch er spricht von „erzwungener Freiwilligkeit“. Die eigene Ausreise komme oftmals nur der unausweichlichen Abschiebung zuvor. Wenn Angebote der Rückkehrberatung die Ausreise als eine von mehreren gleichberechtigten Wegen darstellen, sei dies eine „Illusion“, so Mesovic.

Vorgegaukelte Normalität

Matthias Weinzierl hält das Bilderbuch daher auch für „zynisch“. Er sagt, damit werde versucht dort „Normalität vorzugaukeln, wo keine ist“ und spricht davon, dass „ein unmenschlicher Vorgang behandelt wird wie ein Zahnarztbesuch“. Auch dort gäbe es bunte Bücher, die den Kindern die Angst nehmen sollen.

Dass die Darstellung als verharmlosend betrachtet werden kann, gesteht Sing ein, verweist aber auf ihre Funktion als Türöffner. Das Buch werde von den Sozialarbeiterinnen genutzt, um „mit den Kindern ins Gespräch zu kommen, mit ihnen über ihre Ängste zu sprechen“. „Eine geäußerte Angst ist eine kleinere Angst“, sagt sie. Flüchtlings-Aktivist Weinzierl kritisieret dennoch, dass die Abbildung einer „gut situierten Flüchtlingsfamilie mit eigener Wohnung samt gut gefülltem Spielzeug-Regal an jeder Realität vorbei geht“.

Auch Mesovic möchte nicht daran glauben, dass der Comic hilfreich sein kann. Das Thema der erzwungenen Ausreise lasse sich „kaum pädagogisch adäquat darstellen, weil die dahinter stehende Situation Kindern nicht vermittelbar ist“, so Mesovic, der sich seit über 30 Jahren für Flüchtlinge einsetzt. Er verweist darauf, dass der Verlust von Heimat und Freunden von Kindern als „extrem hart“ wahrgenommen wird und viele nach der Abreise schlicht im Elend landen. Viele Kinder seien nach ihrem erzwungenen Abschied aus ihrem gewohnten Umfeld regelrecht traumatisiert und hegen über Jahre hinweg die Hoffnung, eines Tages nach Deutschland zurückkehren zu können.

Auch ein weiteres Comic, mit dem sich das BRK-Projekt an Jugendliche wendet, sieht Mesovic kritisch. In der „Wörterbuch“ genannten Broschüre findet sich u.a. der Hinweis auf die UN-Kinderrechtskonvention, die alle Unterzeichner-Länder, darunter die Bundesrepublik, dazu verpflichtet, „das Wohl des Kindes bei allen wichtigen Entscheidungen zu berücksichtigen“. Doch genau dies komme bei der Frage, ob Kinder und Jugendliche ihre Heimat verlassen müssen, nicht zur Anwendung. Präsentiert werde ein Instrumentarium, das „von den Behörden missachtet wird“. Das Interesse der betroffenen Minderjährigen „spielt gar keine Rolle“.

Fahrlässige Kooperation oder notwendige Hilfestellung?

„Wir können nur noch lindern, nichts mehr ändern“, hält Sing den Vorwürfen entgegen. Sie ist sich durchaus bewusst, dass die Perspektive für viele, die anderswo neu anfangen müssen, nicht positiv sei. Recherchereisen in den Kosovo, zu Familien, die zuvor beraten wurden, zeigten, dass ein Neustart in der „alten Heimat“ extrem schwierig sei.

Für Weinzierl stellt sich daher grundsätzlich die Frage, ob Wohlfahrtsverbände wie das BRK mit einer Regierung zusammenarbeiten sollten, deren vorrangiges Ziel es sei, dass sich die Leute „vom Acker machen“. „Das ist fragwürdig immer dann, wenn die Freiwilligkeit nicht zu 100 Prozent gewährleistet sei“, so Weinzierl.

Die Kooperation, die die „Zentrale Rückkehrberatung für Flüchtlinge in Nordbayern“ mit der Regierung Mittelfranken pflegt, erachtet Sing dagegen als unausweichlich. Wenn man jegliche Zusammenarbeit mit den Behörden verweigere, könne man den Flüchtlingen schließlich auch nicht helfen.

Doch inwieweit das Angebot des BRK eine sinnvolle Hilfe darstellt, ist umstritten. Denn so einfach, wie es der Ausgang des Kinder-Comics suggeriert, ist es sicher nicht. Dort heißt es für das abgeschobene Kind versöhnlich: „Ab jetzt habe ich einen neuen Freund und spiele jeden Tag mit ihm und den anderen Kindern.“

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