Beklauter „Welt“-Reporter in Manaus: Stinkender Höllenritt

Weil ihm sein Handy auf dem Weg zum Stadion geklaut wurde, verdammt ein Springer-Reporter eine ganze Stadt. Dabei entlarvt er sich selbst.

Erschreckend: Brasilianer in Manaus. Bild: dpa

Lutz Wöckener hatte sich gut vorbereitet auf seine Reise nach Manaus, dem entlegensten Austragungsort der Fußball-Weltmeisterschaft. Der Welt-Reporter tauschte sich mit anderen Ausländern aus, ließ seinen Ehering vorsorglich zuhause und versteckte den Großteil seines Geldes im Schuh – und alles nur, um seine Abenteuerreise in eine der zwanzig gefährlichsten Städte weltweit unbeschadet zu überstehen. Doch alles nutzte nichts: Eine Busfahrt in diesem Höllenloch reichte aus, dann war Wöckener um ein paar Reais und ein iPhone ärmer.

Den ganzen Vorgang hat der Springer-Haudrauf nun in einer Art Kriegsreportage festgehalten. Alle Welt soll wissen, wie es dem furchtlosen Journalisten in den Untiefen einer unterentwickelten Zivilisation ergangen ist. Wöckener beschreibt also, wie er sich in einen Linienbus traute, der „schier unglaublich“ voll war. Eine verständliche Diagnose, denn ein überfüllter Nahverkehr ist vor Fußballspielen im gut situierten Deutschland, zumal in Berlin, nun wahrlich eine Seltenheit.

Weil die sonderlichen Brasilianer auf ihrem Weg zum Stadion dann auch noch zu singen begannen, machte Wöckener ein Video – bedeutende journalistische Arbeit also. Als er sein Handy wieder wegstecken wollte, griff eine Hand danach, eine präsentierte Pistole tat ihr Übriges: Das Arbeitsgerät war er los, dazu ein bisschen Kleingeld aus seiner Tasche. Als hätten diese Ureinwohner noch nie etwas von Pressefreiheit gehört.

Jetzt schäumt der Bestohlene vor Wut und lässt seinem verletzten Stolz freien Lauf: „Manaus, ich mag dich nicht. Du bist schäbig, weltfremd und faul. Ich begegnete dir mit Respekt und gab dir die Chance, mir deine schlechte Seite zu verheimlichen. Manaus, ich werde noch ein paar Tage bleiben, aber ich werde nicht wiederkommen und werde allen erzählen, wie du bist.“

Lutz Wöckener hat auf die Kritik an seinem Text reagiert. Er schreibt: „ch bin überrascht über die große Resonanz auf meinen Artikel. Neben zahlreichen Erlebnisberichten von Lesern, denen Ähnliches widerfahren ist, wurde mir allerdings auch vorgeworfen, ich würde mit meinem Text die Bürger von Manaus in Sippenhaft nehmen. Selbstverständlich mache ich nicht die ganze Stadt und schon gar nicht deren Menschen für den Überfall verantwortlich. Es ist mir wichtig, dass diese Interpretation nicht meiner Meinung entspricht. Womöglich ist die Ironie, die in dem letzten Absatz mitschwingt, nicht deutlich genug herausgearbeitet worden. Wahrscheinlich ist sie angesichts des ernsten Themas ohnehin fehl am Platz. Um weiteren Missverständnissen vorzubeugen, habe ich mich daher dazu entschlossen, den letzten Absatz zu kürzen.“

Besondere Ausprägung von Narzissmus

Ganz im Gegensatz zu seiner Intention, verrät das rührselig-aggressive Stück aber vor allem mehr über seinen Autor als über die Stadt Manaus. Wer sein persönliches Schicksal derart ausschlachtet, scheint unter einer ganz besonderen Ausprägung des Narzissmus zu leiden. Und wer eine ganze Stadt mit ihren zwei Millionen Einwohner für einen – zugegebenermaßen unerfreulichen Vorfall – derart verdammt, sollte von Anstand besser schweigen.

Könnte es sein, dass Wöckener ganz und gar unzufrieden damit ist, seinen Dienst nicht im noblen Ipanema verrichten zu dürfen, in einer Fünf-Sterne-Luxussuite und einem Chauffeur für den Transfer ins Maracanã? Hätte er lieber dort gearbeitet, wo von der rauen Wirklichkeit Brasiliens nichts zu spüren ist?

Vielleicht wären ihm dann seine unterschwellig rassistischen Klischees vom faulen, kriminellen Brasilianer nicht ganz so leicht in den Kopf gestiegen. So treibt er die Vorurteile aber auf die Spitze und arbeitet sich noch an seinen schwitzenden und stinkenden Mitfahrern ab. Ganz so, als würde er selbst in der schwülen Hitze nur nach Kölnisch Wasser riechen. Was hier stinkt ist nicht Manaus.

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