Beginn der US-Zwischenwahlen: Stunde der Wahrheit für Trump

Das Interesse der Wahlberechtigten an den Midterm Elections ist sehr hoch. Das könnte gut für die Demokraten sein. Oder auch nicht.

Viele Menschen in einer Halle schwenken Plakate, mittendrin steht US-Präsident Donald Trump vor einem Rednerpult.

Wird's eng für ihn? Trump vor Anhängern am Montag in Cape Girardeau, Missouri Foto: ap

BERLIN taz | Wahltag in den USA: Nach Monaten des Wahlkampfes für die sogenannten Midterm Elections sind die Wähler*innen in allen Bundesstaaten seit Dienstag früh aufgefordert, ihre Stimme abzugeben. Midterm Elections werden die alle vier Jahre stattfindenden Kongress- und Gouverneurswahlen in der Mitte der Amtszeit eines Präsidenten genannt. Gewählt werden alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses, 35 der 100 Senatoren und 39 Gouverneure aus 36 Bundesstaaten und drei Überseeterritorien.

Nach dem Desaster der Präsidentschaftswahlen von 2016, als nahezu alle Meinungsforschungsinstitute einen Wahlsieg Hillary Clintons prognostiziert hatten, traut sich heute niemand mehr, ein klares Ergebnis vorherzusagen.

Dennoch gibt es eine allgemeine Lesart der vielen Umfragen: Wahrscheinlich gewinnen die oppositionellen Demokraten mindestens 23 Sitze im Repräsentantenhaus dazu und übernehmen damit wieder die Mehrheit. Ebenfalls wahrscheinlich: Im Senat wird ihnen nicht gelingen – in der Kammer könnten die Republikaner ihre bisherige 51:49-Mehrheit sogar noch ausbauen. Und wahrscheinlich gewinnen die Demokraten etwa acht Gouverneursposten zurück.

Sicher ist das freilich nicht. Analyst Nate Silver, der auf seiner Seite fivethirtyeight.com stets recht nachvollziehbar das vorhandene Datenmaterial analysiert, sieht eine Wahrscheinlichkeit von 86 Prozent, dass die Demokraten das Repräsentantenhaus übernehmen. Aber, fragt er: „Würden Sie ein Flug buchen, der eine 14-prozentige Chance hat abzustürzen?“

Wahlbeteiligung wird entscheidend sein

Entscheidend, auch darüber sind sich die meisten einig, wird die Wahlbeteiligung sein. Das Interesse war dieses Jahr bislang besonders und ungewöhnlich hoch: Viele tausend Erstwähler*innen registrierten sich zur Wahl, was bei Nicht-Präsidentschaftswahlen eher ungewöhnlich ist.

Vieles spricht dafür, dass die große Polarisierung des Landes nach knapp zwei Jahren Trump-Präsidentschaft dafür verantwortlich ist. Trump selbst hat die Wahlen zu einer Abstimmung über seine Politik erklärt und sich massiv in den Wahlkampf eingemischt. Noch am Montag absolvierte der Präsident drei Wahlkampfaufritte in drei Bundesstaaten.

Erneut füllte Trump große Arenen mit begeisterten Anhängern, die seine Attacken auf zentralamerikanische Migranten, und die Demokraten, die das Land in einen „sozialistischen Albtraum“ verwandeln wollten, begeistert bejubelten. Dass er dabei erneut offene Lügen verbreitete, wie etwa, dass die Demokraten aktiv papierlose Migranten auffordern würden, ihre Stimme abzugeben, fiel da nicht ins Gewicht.

Auch Ex-Präsident Barack Obama war noch am Montag unterwegs. Bei einem Wahlkampfauftritt in Virginia sagte Obama, der „Charakter des Landes“ stehe auf dem Spiel: „Wer wir sind, steht zur Wahl. Wie wir Politik machen, steht zur Wahl. Wie wir uns in der Öffentlichkeit präsentieren, steht zur Wahl. Wie wir andere Menschen behandeln, steht zur Wahl.“

35 Millionen US-Amerikaner*innen haben schon gewählt

Damit geht Obama klar auf die Persönlichkeit des Präsidenten ein – Trumps in allen Umfragen schwächster Punkt. Nur 27 Prozent aller US-Amerikaner*innen schätzen ihn als Person, das sind deutlich weniger als jene rund 43 Prozent, die mit seiner Amtsführung zufrieden sind.

Befragt, welche Partei ihrer Meinung nach die Kontrolle im Kongress übernehmen sollte, geben übrigens derzeit zwischen 50 und 55 Prozent der US-Amerikaner*innen landesweit an, sich eine demokratische Mehrheit zu wünschen. Eine wertlose Zahl allerdings, da es in den USA keine Zweitstimme und keine Verhältniswahl gibt. Und trotzdem eine, die den Demokraten Mut macht.

Ein weiterer Grund für demokratischen Optimismus: In den meisten Staaten, die early voting anbieten, also die Möglichkeit, seine Stimme auch schon vor dem eigentlichen Wahltag in einem Wahllokal abzugeben, sind so viele Menschen bereits wählen gegangen wie noch nie. In Texas und Nevada haben bereits mehr Menschen vor dem Wahltag ihre Stimme abgegeben als bei den letzten Midterm Elections 2014 überhaupt zur Wahl gegangen sind. Insgesamt haben schon 35 Millionen US-Amerikaner*innen gewählt, bevor der Wahltag selbst überhaupt begonnen hat.

Das könnte für eine auch insgesamt deutlich höhere Wahlbeteiligung sprechen als bei den letzten Midterms: 2014 gaben knapp unter 37 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Und 2010, als die Demokraten 63 Sitze im Repräsentantenhaus an die Republikaner verloren und die Opposition zu Präsident Barack Obama damit die Mehrheit übernahm, lag die Wahlbeteiligung nur bei knapp 42 Prozent.

All das sind normalerweise gute Zeichen für die Demokraten. Zumindest war das über viele Jahre eine Binsenweisheit: Hohe Wahlbeteiligung ist gut für die Demokraten. Ihre Wähler*innenschaft ist jünger, weiblicher und diverser als die der Republikaner*innen, aber letztere gehen immer wählen, erstere oft eher nicht. Nur: Stimmt diese langjährige Wahrheit noch in Zeiten von aufgeputschten Trump-Anhängern, die panische Angst vor Migranten und Zuständen wie in Venezuela haben?

Um 6 Uhr morgens deutscher Zeit schließen auf Hawaii die letzten Wahllokale. Wenn es nicht gar so eng wird, ist wenige Stunden später klar, wer zukünftig im Kongress in Washington das Sagen hat.

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