Basisdemokratie bei der Grünen-Urwahl: Manchmal ist es verdammt peinlich

Wochenlang tingelten 15 Grüne durchs Land und bewarben sich für die Wahlkampfspitze. Ihre Auftritte sorgten für Verwirrung, Respekt und Belustigung.

Ja ja, die Grünen, ja ja. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Urwahl ist der Grund, warum der Kreisverband Bamberg-Land der Grünen einen Beschluss aus Notwehr fasste. Es begann auf der Jahreshauptversammlung im September. Ein Mann namens Roger Kuchenreuther eröffnete den Basisgrünen, dass er gerne Spitzenkandidat im Bundestagswahlkampf würde. Die Leute schauten sich überrascht an: Der will gegen Jürgen Trittin antreten? Kuchenreuther, ein kerniger Zimmermann, war erst vor drei Monaten bei den Grünen vor Ort eingetreten. Keiner seiner verdutzten Parteifreunde kannte ihn.

Der Beschluss, den der Verband an diesem Tag fasste, fiel einstimmig aus. „Hier handelt es sich um eine individuelle Kandidatur“, gaben die Grünen Kuchenreuther mit auf den Weg – sie werde vom Kreisverband Bamberg-Land nicht unterstützt. Wie unter dem Brennglas zeigt der Fall Kuchenreuther ein Problem der Spitzenkandidaten-Kür der Grünen auf. Sie wird von der Parteispitze im Moment als voller Erfolg gelobt, doch erinnerte sie manchmal an ein Kuriositätenkabinett.

Denn neben den vier Spitzenkräften Renate Künast, Claudia Roth, Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin tingelten in den vergangenen Wochen elf völlig unbekannte Basisgrüne durchs Land, deren Auftritte wahlweise für Verwirrung, vorsichtigen Respekt oder hilflose Belustigung sorgten. Kuchenreuther zum Beispiel kümmerte die fehlende heimische Unterstützung nicht. Und bereits auf der ersten Veranstaltung in Hannover konterkarierte er jede grüne Position zur Europapolitik mit dem denkwürdigen Satz: Mit „diesen ganzen Südländern haben wir uns ein großes Paket aufgeladen“.

2. September: Kleiner Parteitag beschließt Urwahl zur Nominierung eines Spitzen-Duos. 60.000 Mitglieder können bis zum 30. Oktober wählen. Jeder hat zwei Stimmen. Beide Stimmen dürfen nicht auf zwei männliche Bewerber entfallen und nicht auf eine Person.

Vom 10. bis 16 September: 15 KandidatInnen bewerben sich.

12 Männer und drei Frauen.

Ab 18. September: KandidatInnen stellen sich auf Urwahlforen in den Bundesländern vor.

8. Oktober: Wahlunterlagen werden verschickt. Bis zum 30. Oktober müssen sie zurückgesendet werden.

4. bis 9. November: Stimmen werden ausgezählt.

10. November: Ergebnis wird bekannt gegeben.

16. bis 18. November: Bundesparteitag in Hannover

Nach dem Ende der Foren und kurz vor Beginn der Auszählung realisieren die Grünen-Strategen, was die meisten vorher schon geahnt hatten: Basisdemokratie ist gut, aber manchmal auch verdammt peinlich.

Politik und Professionalität

Mehrere Landesvorsitzende fordern jetzt, Konsequenzen aus dem Spektakel zu ziehen – und politisch völlig unbeleckte Laien bei künftigen Wettkämpfen nicht mehr zuzulassen. „Die Urwahl als solche ist gelungen“, sagt Bayerns Grünen-Chef Dieter Janecek. „Aber: Es ist nötig, Hürden einzuziehen. Wer nicht mal sein nächstes Umfeld mobilisieren kann, ist nicht geeignet, in einem Bundestagswahlkampf eine ganze Partei zu mobilisieren.“ Mit einer solchen Regelung hätten sich die Grünen in den vergangenen Wochen „manche Peinlichkeit erspart“, sagt Janecek. „Wer in der Politik führen will, muss ein Mindestmaß an Professionalität und inhaltlicher Substanz besitzen.“

Dieses Mindestmaß an Professionalität, das haben viele Grüne bei vielen der Basiskandidaten vermisst: Da war Kuchenreuther. Da war der Student Patrick Held, der mit Dutschke-Pathos und Baseballmütze auftrat und als stichhaltigstes Argument für sich vorbrachte, er sei eben jung. Da war der Tiermediziner Peter Zimmer, der mit beseelter Stimme säuselte, seine Tochter habe ihn gefragt: „Papa, kannst du die Welt retten?“ Das vielleicht nicht – Spitzenkandidat werden aber schon.

Solche Entblößungen wollen die Landeschefs künftig vermeiden. Auch Janeceks Amtskollegin aus Baden-Württemberg, Thekla Walker, findet: „Eine Hürde ist für künftige Verfahren sinnvoll. Wer Spitzenkandidat werden möchte, braucht ein gewisses Standing in der Partei. Die bloße Selbsteinschätzung reicht da häufig nicht.“ Die Hamburger Grünen-Chefin Katharina Fegebank formuliert es so: „Wir sollten uns bei künftigen Basisentscheidungen das Verfahren genau ansehen.“

Denkbar wäre, sagt Fegebank, dass Kandidaten eine bestimmte Anzahl von Unterstützerunterschriften von anderen Parteimitgliedern brauchen. Auch der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Toni Hofreiter, plädiert für Zulassungsbeschränkungen. „Ich kann mir zum Beispiel ein qualifiziertes Votum eines Kreisverbandes vorstellen“, sagt Hofreiter. „Das hätte den ein oder anderen Profilneurotiker verhindert.“

„Ein voller Erfolg“

Die Überlegungen laufen auf zwei Modelle hinaus: Entweder ein Kandidat muss die Mehrheit in seinem Kreisverband bekommen, oder er braucht Unterstützer in der Partei. Janecek fände zum Beispiel 50 Unterschriften angebracht. Solche Zulassungsvoraussetzungen wären für Kandidaten verhältnismäßig leicht zu erfüllen, auch anerkannte Kommunalpolitiker hätten gute Chancen. Für Hofreiter hat die Kreisverbandslösung den Charme, dass dabei – anders als etwa bei Landesdelegiertenversammlungen – einfache Mitglieder abstimmen. „Das wäre eine sehr basisdemokratische Variante.“

Ganz neu sind solche Überlegungen nicht. Bereits vor Start der Urwahl im Sommer hatte es ähnliche Bedenken in der Partei gegeben. So hatte auch Parteichef Cem Özdemir in internen Runden geraten, den Wettkampf mit Hürden eher auf die Profis zu beschränken. Damals wurden auch höhere Schwellen, etwa das Votum eines Landesverbands, intern diskutiert.

Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke, die die Urwahl federführend organisiert hat, kann die Kritik der Landeschefs nicht nachvollziehen. „Die grüne Urwahl ist ein voller Erfolg“, sagt sie. „Ich halte nicht viel davon, Erfolge kleinzureden.“ Die Zahlen sprechen für diese Sicht: Bis zum vergangenen Freitag hatten sich 28.000 der gut 59.000 Mitglieder beteiligt, bis gestern konnten Briefe abgeschickt werden.

Es gilt intern deshalb als sicher, dass die Beteiligung deutlich über 50 Prozent liegen wird – was das Ziel war. Eine Kritik müssen sich die Kritiker in jedem Fall gefallen lassen: Um Hürden einzuziehen, ist ein Parteitagsbeschluss nötig, der die Satzung ändert. Doch den Antragsschluss für den Parteitag im November haben sie verpasst.

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