Ausstellung zur Urbanität: Erfinderische Kollisionen

Der Kunstverein Langenhagen hat Phänomene des Urbanen erkundet. Mit der Ausstellung von Modellminiaturen endet das Jahresprogramm.

Still aus Christian Haakes Video „White Elephant“, 2011. Bild: Galerie Katharina Bittel

Als Weißer Elefant gilt im südostasiatischen Sprachgebrauch ein wertvoller, prestigeträchtiger Besitz oder, etwas infamer: ein Geschenk, für das es wirtschaftlich keine sinnvolle Verwendung gibt. Allein die zum Unterhalt notwendigen Kosten können den Besitzer ruinieren.

Für den Künstler Christian Haake, 1969 in Bremerhaven geboren und nach Studien der bildenden Kunst, Philosophie und Kunstwissenschaften in Bremen geblieben, scheinen mittlerweile viele der allgegenwärtigen Einkaufszentren und Passagen diese Qualitäten aufzuweisen – vor allem wenn sie etwas älteren Baujahrs, verwahrlost oder bereits aufgegeben sind.

Haake überführt ihre Merkmale und Raumtypologien in Modelle unterschiedlichen Maßstabs. Ihn treibt aber keine vordergründige Kapitalismuskritik um. Haake interessiert der Fundus eigener und auch kollektiver Erinnerungen, die diese städtischen Orte evozieren. Deshalb baut er seine Modelle auch nie nach einem authentischen und maßstäblichen Plan. Die Konstrukte sollen keine präzisen Wiedergaben der existierenden Orte sein, Brüche und Unstimmigkeiten sind beabsichtigt. Seine Modellminiaturen sind autonome Objekte oder Schauplatz für ein Video, wie für die Produktion „White Elephant“ von 2011.

läuft noch bis zum 3. Februar 2013 im Kunstverein Langenhagen e. V.

Christian Haake arbeitet aber auch in situ, bezogen auf den Ausstellungsraum. Und hier kommt es zu erfinderischen Kollisionen. Eine zentralperspektivische Schaufensterfront in originalgetreuem 1960er-Jahre-Design scheint dann durchaus die Vorstellung einer realen Situation zu erfüllen. Die Tür in der Mitte, zum Durchschreiten der Installation, ist jedoch zu schmal oder zu niedrig, um den üblichen Verhältnissen zu entsprechen. Ist die gesamte Anlage somit eine Verkleinerung, etwa im irrwitzigen Maßstab 1 zu 1,8 – also alles beispielsweise um 20 Prozent verkleinert? Dazu schweigt Haake natürlich.

In den langen Raumschlauch des Kunstvereins Langenhagen bei Hannover – er basiert auf der Kegelbahn eines Wirtshauses – hat Haake derzeit eine weiße Querwand mit Tür und zwei unterschiedlichen Schaufenstern eingezogen. Die abstrahierende Farbe und die zurückgenommene Stofflichkeit zeigen sofort, dass keine funktionale Notwendigkeit erfüllt werden muss, dass es sich also um eine modellhafte Darstellung handelt. Die teils mattierten Glasscheiben von Tür und Fenstern sind mit Bordüren aus Sternen versehen, ein gläsernes Schild über der Tür trägt ebenfalls dieses Muster. Allein das größere der beiden Schaufenster ist einsehbar, bis zu einer rückwärtigen Verkleidung. In ihr ist eine Klappe, dieser offensichtliche Auslageraum wäre also real zu bestücken, ist es aber nicht. Ein Einwegspiegel im Türfeld verführt zum Blick in den dahinterliegenden Raum – und auf mysteriöse Blinklichter tief in seinem Inneren.

Spätestens jetzt wird klar, auf welches Erscheinungsbild städtischer Wirklichkeit die Andeutungen Bezug nehmen: Es ist die typische Fassadengestaltung x-beliebiger Spielhallen und ihr semantisches Paradoxon zwischen plakativer Werbung einerseits und dem Diskretionsbedürfnis der Klientel andererseits, meist durch zugeklebte Schaufensterscheiben krude erfüllt. Dieser Typus lässt sich natürlich auch in Langenhagen finden und liefert dem Betrachter das unmittelbare Erkenntnismaterial.

Kunst als Intervention

Mit dieser Ausstellung beschließt der Kunstverein Langenhagen ein Jahresprogramm, das sich mit Phänomenen des Urbanen, dem öffentlichen und privaten Raum befasste. Rund um die diesjährige 700-Jahr-Feier des 50.000 Einwohner zählenden Städtchens erweiterte der Kunstverein seinen Wirkungsradius und ging mit einzelnen Positionen und künstlerischen Aktionsformen in öffentliche Einrichtungen: den Park eines psychiatrischen Landeskrankenhauses und die Leerstandsflächen der örtlichen Markthalle.

Derartige Interventionen versteht die Leiterin Ursula Schöndeling als praktizierte Wahrnehmungserweiterungen. In ihren Ausstellungsproduktionen spiegelt sie den alltäglichen Lebensraum, seine latenten Qualitäten und schöpferisch zu belebende Geschichten. Im nächsten Jahr will sie eine Themenreihe ausschließlich zu Künstlerinnen wagen. Aber es soll weder die feministische Kunst der 1970er Jahre historisiert werden, noch könnte der kleine Kunstverein programmatische Aussagen leisten.

Also interessiert Schöndeling der Dialog zwischen zwei Künstlerinnengenerationen, Geschlechterrollen verfestigten sich in Zeiten der Herdprämie ja durchaus wieder. Die institutionelle Förderung durch das Kulturministerium des Landes Niedersachsen, eine bundesweit einmalige Segnung, bietet ihr Planungssicherheit – und Anerkennung bedeutet die bereits dritte Nominierung des Kunstvereins Langenhagen für den Preis der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine (ADKV) im Jahr 2012.

Die Blinklichter in der Installation Haakes erzeugt ein Flipperautomat en miniature. Der immense Verkabelungssalat realen Ausmaßes dieses kleinen technischen Wunderwerks leistet dann wieder die Distanzierung zu der so detailreich ersonnenen Wirklichkeit. Es ist der schmale Grat zwischen autonomem ästhetischem Ereignis und gegenständlicher Reflexion, auf dem Kunst zu bestehen hat.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.