Ausstellung „Other Shots“: Abseits in Braunschweig

Vier Braunschweiger Kunststudenten haben die Galerie Flur 11 für junge Kunst und Fotografie gegründet. Derzeit ist dort die Ausstellung „Other Shots“ zu sehen.

Gesammelte Selbstporträts: aus einer Serie von Kontaktabzügen des Braunschweiger Kunststudenten Erik Arcadi Seth. Bild: Erik Arkadi Seth

BRAUNSCHWEIG taz | Wer sagt es denn: Nicht alle Studierenden der Kunsthochschule Braunschweig fliehen aus dieser Stadt! Für viele gehört es zum Selbstmarketing, spätestens nach dem Grundstudium den Lebensmittelpunkt nach Berlin zu verlegen und wie die Professoren nur noch punktuell zu Pflichtveranstaltungen einzuschweben.

Die Kunstwissenschaftsstudenten Felix Koberstein und Arne Schmidt sowie der Student der freien Kunst Ole Blank haben sich dagegen ganz bewusst für Braunschweig entschieden. Zusammen mit dem Kommunikationsdesigner Max Weinland riefen sie 2013 den Projektraum Flur 11 ins Leben, um einer jungen, nicht nur lokale Kunstszene aus Studierenden und Absolventen eine Plattform zu bieten.

Die Braunschweiger Aktivisten lieben es alternativ. Die Westtangente ist malerischer Hintergrund und akustische Grundkulisse der zwei Erdgeschosswohnungen, die die Ausstellungsräume des Projektraumes Flur 11 bilden. Um die Ecke ist eine Großbäckerei, gegenüber werden gerade einige Gründerzeithäuser renoviert.

Die Mischung aus Gewerbe und stadträumlich abgehängtem Wohnen ist jedoch nicht jedermanns Sache. Manches in der Straße scheint schon länger leer zu stehen und ist heruntergekommen, anderes mit Kunst-WGs bevölkert. So wie bis ins letzte Jahr hinein auch die Ausstellungsräume. Sie wurden von der Baugenossenschaft, die derweil gegenüber saniert, bis zum Jahresende kostenfrei zur Verfügung gestellt. Aber auch die Stadt Braunschweig ließ sich nicht lumpen und ko-finanziert den Trägerverein des Projektraums, ebenso wie die Kunsthochschule und ihr Förderkreis.

Zur Realisierung der aktuellen Gruppenausstellung „Other Shots“ haben die vier drei befreundete Kuratorinnen eingeladen: Jasmin Meinold studiert noch Kunstwissenschaften in Braunschweig, ist aber seit Längerem als freie kuratorische Mitarbeiterin tätig. Lena Reisner und Kristina Thrien sind Kulturwissenschaftlerinnen mit Diplom der Uni Hildesheim. Auch sie finanzieren sich über Projektarbeiten, Thrien ist derzeit als Volontärin am Museum für Photographie.

So verwundert es nicht, dass die neun gezeigten Positionen sich mit Fotografie, auch in abwegig technischer Auslegung, beschäftigen. Gleich im Flur der ersten Wohnung stellt die gebürtige Berlinerin und Braunschweiger Absolventin Alex Heide die Konventionen der Bildbetrachtung infrage. Ihr weiblicher Akt liegt als extrem vergrößerte Fotografie auf dem Boden – es wird sich erweisen, wie zartfühlend die Besucher ihn betreten. Das Resultat will Heide dann weiterverwenden.

Eric Arcadi Seth, noch Student der Freien Kunst in Braunschweig, hat Selbstporträts gesammelt, die Kunden auf ausgestellten Kameras und Tablets in Fachgeschäften zurückgelassen haben. Er hat sie auf sein Smartphone geladen und dessen Display für analoge Kontakt-Belichtungen auf Fotopapier eingesetzt. Die Resultate spielen mit einer archaisch daherkommenden Bildästhetik, den unbedachten Selbstentäußerungen wird Anonymität zurückgegeben.

Auch Francisco Vogel aus Hildesheim greift zur fotografischen Verunklärung. Seine klassisch schwarz-weißen Innenraumfotos versieht er mit einem exakten, zentral positionierten Quadrat aus hineinbelichteten Staubformationen.

Ganz anders arbeitet die Kölnerin Linn Phyllis Seeger. Sie hat in Italien Urlaubsorte besucht und ihre so gar nicht idyllischen Seiten entdeckt. Die fotografischen Studien zeigen architektonische Grotesken und eine verzweifelte Benutzung durch vereinzelte Menschen. Ein Postkartenständer der Motive lädt zur Mitnahme ein.

Der indonesische Meisterschüler der Klasse Candice Breitz in Braunschweig, Rizki Resa Utama, wiederum setzt das klassische Familienporträt per Video in Szene. Ein Fotograf gibt Anweisungen, wie Vater, Mutter und Kind jeweils zu lächeln hätten, damit sie wie eine wirklich glückliche Familie erscheinen. Selbst wenn sie auf neuerliche Anweisung ihre Position ändern, bleibt die Rolle an den Standort gebunden: Die Frau etwa muss dann die Rolle des Vaters übernehmen und entsprechend agieren, immer auf der Suche nach der perfekten Bildaussage.

Der Kurzschluss zwischen Kunst und Leben, Privatem und Öffentlichem ist ganz im Sinne der Organisatoren. Rund um ihren Projektraum sprießt derzeit im Substrat aus preiswertem Wohnen und Gewerbe ein Mikrokosmos der Kunst: Ein weiterer alternativer Kunstverein ist ein paar Häuser entfernt, eine private Galerie in der Nebenstraße. Man setzt auf die Multiplikation durch Mundpropaganda und erreicht so immerhin über 150 Leute zu dem Vernissagen.

Als kleiner Wermutstropfen bleibt, dass die Räume zum Jahresende dann aufgeben werden müssen. Was andernorts als beginnende Gentrifizierung diagnostiziert würde, nimmt man hier aber noch mit der gelassenen Haltung der Provinz.

„Other Shots“: Flur 11, Jahnstraße 11, Braunschweig; bis zum 19.10.
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