Auftakt am Berliner Ensemble: Wenn Wörter zu Phrasen werden

Antú Romero Nunes eröffnet am Berliner Ensemble die erste Spielzeit des neuen Intendanten Oliver Rees mit „Caligula“ von Camus.

Despot in Bedrängnis: Constanze Becker (re.) spielt Kaiser Caligula Foto: Julian Röder

Am Thalia Theater in Hamburg läuft es schon länger gut für den Regisseur Antú Romero Nunes. Er ist dort Hausregisseur seit 2015. Im September kann man da gleich drei Inszenierungen von ihm sehen, „Das Schloss“ nach Kafka, „Moby Dick“ nach Melville und „Richard III.“. Wenn ein Haus so viele Arbeiten eines Regisseurs so dicht programmiert, dann in dem Wissen, dass er viele Fans hat.

In Berlin hat seine Theatergeschichte begonnen, zunächst als nicht besonders glücklicher Regiestudent an der Ernst-Busch-Schule , dann als bald schon beliebter Nachwuchsregisseur, den das Gorki-Theater unter Armin Petras für sich entdeckt hatte. Er kam als gerade 25-Jähriger dahin zusammen mit einem Schauspieler, Paul Schröder von der Ernst-Busch-Schule, mit dem er jetzt in Hamburg weiter zusammenarbeitet. Sie teilen ein Gefühl für Rhythmus, Timing, Slapstick, für etwas, dass mit der scheinbaren Leichtigkeit von Improvisation daherkommt und doch genau ausgearbeitet ist. Ein bald mit Preisen ausgezeichnetes Dream-Team.

Jetzt kehrt Antú Romero Nunes als Regisseur nach Berlin zurück, mit einem prominenten Auftrag: Er wird die Saison am Berliner Ensemble eröffnen, die erste Spielzeit des neuen Intendanten Oliver Reese. Nicht Nunes allein: Michael Thalheimer gibt dem alten Brecht-Theater einen Brecht, „Der kaukasische Kreidekreis“; und Mateja Koleznik präsentiert ein Stück des norwegischen Autors Arne Lygre, „Nichts von mir“. In diesem Eröffnungstrio hat Nunes den ersten Aufschlag mit „Caligula“ von Camus.

Summender Bienenkorb

Als ich Nunes wenige Tage vor der Premiere im BE treffe, irren wir eine Zeitlang durch das Theater auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen. Da passt ein Schlüssel nicht, hier wird geprobt, da wird gehämmert, gebaut wird nicht nur für die Bühne, sondern im ganzen Haus. Ein summender Bienenkorb, irgendwie aufregend. Wir schieben uns zwei Stühle im Foyer zusammen.

Wenn der Regisseur, 1983 in Tübingen geboren, über sein Interesse an Camus, dem Existenzialismus und dem Stück „Caligula“ redet, dann teilt er die Zeit oft ein, in das, was er früher dachte, und wie er sich verändert hat. Jetzt denkt er nicht mehr, mit dreißig ist alles vorbei, klar. Aber als es so noch war, hat ihn an Camus schon die Erfahrung von Sterblichkeit berührt, die Vergänglichkeit von Kummer und von Liebe und wie dadurch alle Wertmaßstäbe ins Wanken geraten. Über diese Schicht hat sich jetzt eine zweite Dimension gelegt. Und die hat sehr viel mit der Politik der Gegenwart zu tun.

„Regieren heißt stehlen. Aber es kommt darauf an, wie. Ich werde ehrlich stehlen“

Caligula ist bei Camus ein römischer Kaiser, der für seine Macht neue Spielregeln erfindet. So müssen alle Patrizier, die Vermögen besitzen, dieses dem Staat vermachen. „Je nach unseren Bedürfnissen werden wir diese Personen in der Reihenfolge einer willkürlichen Liste töten“, teilt er seinem Oberhofmeister mit. Und wehrt dessen Einwände ab mit „Regieren heißt stehlen, das weiß doch jeder. Aber es kommt darauf an, wie. Ich werde ehrlich stehlen.“

Früher habe er gedacht, erzählt Nunes, dass Hunde, die bellen, nicht beißen. Aber inzwischen habe ihn die Erfahrung gelehrt, wer rassistische Witze mache, der handle auch so. Die Frage sei nun, warum lässt man das zu. Warum folgt der Hof Caligula? Warum wurde Trump gewählt? Und Erdoğan? Das Erstaunen darüber, wie so etwas passieren kann, warum die Systeme das nicht verhindern, grundiert jetzt die Camus-Lesart. So kann Camus’ Text zu einem Instrument werden, auf die Bedrängnis der Gegenwart zu reagieren.

Wie sich Caligula zum Beispiel an den eigenen Worten berauscht, wie er für sich eine Logik behauptet, der keiner zu widersprechen wagt, das erinnert Nunes an die Redeweisen von AfD-Politikern. Er hat das einmal hautnah erlebt, bei einer ICE-Zugfahrt mit Beatrix von Storch.

Die erste Spielzeit von Oliver Reese am Berliner Ensemble startet mit drei Premieren: „Caligula“ (21. 9., 19.30 Uhr, inszeniert Antú Romero Nunes), der deutschsprachigen Erstaufführung von Arne Lygres „Nichts von mir“ (Regie: Mateja Koležnik, 22. 9., 20 Uhr) und Michael Thalheimers Inszenierung von Brechts „Der kaukasische Kreidekreis“ (23. 9., 19.30 Uhr)

Das klingt nach einem schweren Gewicht, das in die Inszenierung kommt. Dagegen steht aber die Komik von Camus’ Text, ein erstaunlicher Witz, der das Absurde der Situationen hervorkehrt. Nunes ist sehr empfänglich für das Komische und Skurrile, das haben schon viele seiner Inszenierungen gezeigt.

Und noch etwas interessiert ihn an „Caligula“. Wie die „Sprache ihre Bedeutung verliert, wie jedes Wort verdreht werden kann“, bis die Sprache nichts mehr zu meinen scheint. Worte werden ausgehöhlt, werden Phrasen. Da sieht er eine Verbindung zu etwas, was auch in der Gegenwart geschieht.

Die Rolle des Caligula übernimmt bei ihm Constanze Becker. Die hat in Berlin viel am Deutschen Theater gespielt, in Inszenierungen von Michael Thalheimer, und ging dann mit ihm und Reese nach Frankfurt. Man kennt sie in großen, tragischen Rollen, sie stemmt antike Theaterstoffe mit viel Intelligenz und ohne angestaubtes Pathos in die Gegenwart. Bei Nunes nun wird sie eine andere Seite zeigen können, musikalischer und witziger.

Theater der Illusionen

Warum eine Frau Caligula spielt? Noch einen Typ, der sich schlecht benimmt, das wollte Antú Romero Nunes nicht so gerne machen und findet generell, dass es für Schauspielerinnen zu wenig interessante Rollen gibt. Außerdem ist der Schauspieler im besten Fall nicht mit der Rolle identisch, warum sollte also eine Frau nicht etwas über einen Mann erzählen? Und so war er sehr erfreut, dass Constanze Becker die Rolle übernahm.

Das Theater, das Antú Romero Nunes anstrebt, ist eines, das nie das Bewusstsein darüber verliert, mit Illusionen zu handeln. Mit Illusionen, die aber so perfekt sein können wie ein guter Zaubertrick. Und die emotional berühren, mitreißen, überraschen. Zum Moment der Überraschung weiß er eine Geschichte:

Als er mit 15 Jahren „Romeo und Julia“ zum ersten Mal sah, als Film mit Leonardo DiCaprio, „da war das Beste, dass ich vorher nicht gewusst habe, sie werden sterben“. Sein Theater will etwas Ähnliches herstellen, und das an jedem Abend einer Aufführung aufs Neue.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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