Asylsuchende in Baden-Württemberg: „In Belgrad ist es wärmer“

Einen Winterabschiebestopp gibt es in Baden-Württemberg nicht. Rot-Grün schickt Flüchtlinge auch im Januar in ihre Herkunftsländer zurück.

Februar 2012: In Belgrad kann es auch kälter sein Bild: dpa

TÜBINGEN taz | Eine Frau, an Hepatitis B erkrankt, und ihre sechs Kinder, kleinwüchsig und unterernährt, sind in dieser Woche nach Serbien abgeschoben worden. In Freiburg, wo sie zuletzt lebten, schwappte die Welle des Protests direkt in den grünen Neujahrsempfang. Demonstranten stürmten die Veranstaltung am Mittwochabend und riefen: „Grün-Rot schiebt ab, wir haben’s satt.“

Insgesamt 140 Menschen wurden am Dienstag vom Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden aus nach Belgrad und Skopje abgeschoben, 57 davon aus Baden-Württemberg. Am 6. Januar lief der von Grün-Rot über Weihnachten verhängte Abschiebestopp aus. Seither wurden nach Angaben des Stuttgarter Innenministeriums bereits rund 100 Menschen abgeschoben.

In Bundesländern, in denen die Grünen in der Opposition sind, etwa in Brandenburg, fordern sie vehement einen Winterabschiebestopp. Im grün mitregierten Thüringen sind Abschiebungen auch tatsächlich ausgesetzt. In Stuttgart stellen sie den Ministerpräsidenten und beißen sich in Sachen Abschiebung doch am SPD-geführten Innenministerium die Zähne aus.

Bei der Protestaktion in Freiburg sprachen die Teilnehmer von verantwortungslosem Vorgehen. Die Grünen hätten ihre Ideale verraten. Albert Scherr vom Freiburger Forum gegen Ausgrenzung hält das Bekenntnis von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zu einer „humanitären Abschiebepolitik“ nur für ein Etikett.

Probleme mit der Ressortkompetenz

Die Grünen im Ländle reagieren ebenfalls mit Unverständnis und schieben die Schuld auf Innenminister Reinhold Gall (SPD). Fraktionschefin Edith Sitzmann sagte in Freiburg, sie hätte sich gewünscht, dass das Innenministerium von einer Abschiebung der Freiburger Familie absieht. Sie fordert vom Innenministerium „transparente, verbindliche Kriterien für eine humanitäre Einzelfallprüfung“. Ein Machtwort Kretschmanns gegen Gall verbiete sich aber, weil man auf Augenhöhe miteinander regiere und die Ressortkompetenz nicht untergraben wolle, heißt es aus Kreisen der Grünen.

Das Ministerium teilt auf Anfrage mit: „Die Forderungen nach einem Winterabschiebungsstopp sind für uns nicht nachvollziehbar. Zu einem generellen Stopp besteht angesichts des besser geeigneten flexiblen Instruments der Einzelfallprüfung keine Veranlassung – zumal in Belgrad nicht selten wärmere Temperaturen als in Baden-Württemberg herrschen.“ Das Regierungspräsidium Karlsruhe nehme bei der Einzelfallprüfung das „eingeräumte Ermessen sehr gewissenhaft, angemessen und differenziert wahr“. Im Fall der Freiburger Familie sei die Abschiebung angekündigt worden, der Anwalt der Familie habe nichts dagegen unternommen.

Der Freiburger Fall zeigt nach Ansicht der Grünen Jugend dennoch, dass die Einzelfallprüfung nicht funktioniere. Die Grünen wollen die Kriterien, die bei der Prüfung angewandt werden, konkretisieren, eine Art rote Linie zeichnen, wenn nicht abgeschoben werden darf. Dabei gilt Niedersachsen als Vorbild: Dort hat SPD-Innenminister Boris Pistorius in einem Rückführungserlass unter anderem festgelegt hat, dass Jugendliche, die ein Jahr vor dem Abschluss ihrer Ausbildung stehen, nicht abgeschoben werden. Bis die Grünen einen Konsens mit der SPD gefunden haben, dürfte der Winter vorüber sein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.