Asylpolitik in Bayern: Eine Frage der Perspektive

In Bayern dürfen Geflüchtete, die keine Anerkennung erhalten, nicht arbeiten. Jetzt wehren sich Geflüchtete und Unternehmer dagegen.

Maka Seck, Geflüchteter, mit seinem Bandkollegen Abdoulalye: Sie posen für die Kamera.

Maka Seck (li.) darf nicht arbeiten. Ihm bliebt nur die Musik mit Bandkollege Abdoulaye Foto: Quirin Leppert

MÜNCHEN taz | Fangen wir doch einfach mal mit ein paar Zahlen an. Mit der 230.000 zum Beispiel. Das ist die Zahl der in Bayern fehlenden Fachkräfte. Oder auch die 3.690. So viele Ausbildungsplätze konnten zum 30. September 2018 nicht besetzt werden. Auf der anderen Seite hätten wir da Flüchtlinge, die sofort arbeiten könnten, aber von den Ausländerbehörden keine Arbeitserlaubnis bekommen. Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat sieht ihre Zahl im vierstelligen Bereich: „Allein wenn alle, die einen Vertrag in der Tasche hatten, auch eine Ausbildungserlaubnis bekommen hätten, dann hätten wir jetzt sicher 1.000 oder 1.500 Leute mehr in der Ausbildung.“

Es sind diese Zahlen, die man nur gegenüber zu stellen braucht, um zu sehen, dass hier etwas nicht stimmt. Das findet nicht nur Dünnwald, der Meinung sind auch viele Betroffene. Betroffene, das sind in dem Fall nicht nur Flüchtlinge aus Ländern wie dem Senegal, Afghanistan und Nigeria. Nein, Betroffene, das sind auch Unternehmer aus Bayern.

Und gegen diesen Missstand wollen sie nun gemeinsam ihre Stimme erheben – für das „Recht auf Arbeit für alle“. Am 1. Mai – wann sonst? – geht es los. Ab 9 Uhr gehen sie auf die Straße. „Lass mas halt arbeiten!“ heißt die Kampagne, die nicht zufällig recht bayerisch pragmatisch und ganz ohne Zusatz von Moralinsäure daherkommt. Fast hätte man dem Satz noch ein „Ja, mei“ voranstellen können, um die bayerische Philosophie des Lebens und Lebenlassens auf die kürzest mögliche Formel zu bringen. So ist im Aufruf für die Demo von einem volkswirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe die Rede, den die Arbeitsverbote verursachten. „Arbeitserlaubnisse würden den Geflüchteten, der Gesellschaft – kurz: uns allen – eine Menge Vorteile bringen!“

Ins Leben gerufen hat die Kampagne das Bellevue di Monaco. Als „Wohn- und Kulturzent­rum für Geflüchtete und interessierte Münchnerinnen und Münchner“ bezeichnet sich die Initiative selbst. Entstanden ist das genossenschaftlich getragene Projekt vor vier, fünf Jahren vor dem Hintergrund von Flüchtlingskrise und einer Debatte um leer stehende Häuser in München. Eine Gruppe um den Flüchtlingshelfer Matthias Weinzierl und den Kulturmanager Till Hofmann bewahrte einen Häuserblock in der Münchner Innenstadt vor dem Abriss, pachtete die drei Häuser, sanierte sie und richtete darin Wohnungen für Flüchtlinge ein. Daneben betreibt das Bellevue di Monaco ein eigenes Café, berät Flüchtlinge und deren Helfer, veranstaltet Konzerte, Diskussionen, Deutschkurse und, und, und …

Die Mai-Demo soll nur der Auftakt sein

Jetzt sitzt Weinzierl mit Dünnwald im Konferenzraum des Bellevue, einem Zimmerchen unterm Dach, und erklärt, worum es geht. Die Mai-Demo soll nur der Auftakt sein, Diskussionsforen, Prominenten-Statements und andere Formate sollen folgen. „Das soll kein Strohfeuer sein“, sagt Weinzierl, „sondern eine länger anhaltende Kampagne.“ Eine Serie von Videoclips steht bereits im Netz.

Auf einem der Videos ist ein Mann zu sehen mit einer rappermäßigen Strickmütze in den senegalesischen Landesfarben: grün, gelb, rot. „Ich bin seit sechs Jahren in Deutschland“, sagt er in dem Filmchen, „ich habe eine Ausbildung als Schlosser im Senegal gemacht. Ich hätte einen Arbeitsvertrag bekommen, und ich darf nicht arbeiten.“

Der Mann heißt Maka Seck und kommt aus der Region Casamance im Süden des Senegal. Über die Türkei und Griechenland ist er 2013 nach Deutschland gekommen. Im Senegal sei er bedroht worden, habe sich nicht mehr sicher gefühlt, erzählt er am Telefon. Konkreter will er nicht werden. Ein Asylgrund? Unwahrscheinlich. Doch genau um diese Menschen geht es der Initiative, um die Flüchtlinge mit der „geringen Bleibeperspektive“, wie es im einschlägigen Jargon heißt.

2015 hat Seck ein Praktikum in einem Metallbau-Unternehmen im oberbayerischen Ebersberg gemacht. Es hat ihm gut gefallen. Und auch der Firmenchef war angetan. „Du bist gut“, habe er gesagt und ihm gleich einen unbefristeten Vertrag angeboten – samt Unterkunft. Aber die Ausländerbehörde machte den beiden einen Strich durch die Rechnung, versagte Seck die Genehmigung.

Gut integriert, gutes Deutsch

Der Mann ist integriert, spricht gut Deutsch. Und wäre auf dem Arbeitsmarkt gewünscht. Doch das nützt ihm nichts. Das einzige, was Seck bleibt, ist die Musik. „Musik ist wie eine Therapie“, sagt er. Der 36-Jährige ist HipHopper, hat immer wieder Auftritte in der Region, auch in München. An Weihnachten ist er dort mit seinem Rapper-Trio Black Dia bu Galsen sogar im „Backstage“ auf der Bühne gestanden – vor vollem Haus. „Das war geil“, sagt Seck. Wobei – halt! – Trio waren sie damals schon gar nicht mehr. Denn Adama Dieng, einer der drei, ist schon im November abgeschoben worden.

Wenn Seck gerade keine Musik macht, sitzt er in seiner Flüchtlingsunterkunft und langweilt sich – auf Kosten des Staates. Wie es mit ihm weitergeht? Weiß er nicht. Geduldet ist er. Doch was das letztendlich bedeutet? „Ich habe jeden Tag Angst“, sagt er.

Und genau darin sieht Matthias Weinzierl das Kalkül der bayerischen Staatsregierung. „Der Hintergedanke ist: Irgendwann wird der Druck so groß sein, dass der Mann freiwillig in den Senegal zurückgeht. Ich mach jetzt seit 30 Jahren Flüchtlingsarbeit, und genauso lange kenne ich diese Methode schon. Aber so funktioniert das nicht.“

Ein Großteil der Flüchtlinge werde bleiben, deshalb müsse man ihnen auch eine Perspektive bieten. „Es macht einfach keinen Sinn.“ Es ist dieser Satz, den Weinzierl immer wieder sagt und den wohl auch viele Unternehmer in Bayern unterschreiben würden. 78 Prozent der Deutschen sind laut einer jüngst veröffentlichten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung dafür, dass Flüchtlinge, die einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz haben, in Deutschland bleiben dürfen, auch wenn sie eigentlich ausreisepflichtig wären.

Systematische Hardlinerpolitik

Und doch verfolge gerade Bayern „die rigideste und systematischste Hardlinerpolitik“, sagt Flüchtlingshelfer Dünnwald. Und das, obwohl es hier gleichzeitig das höchste Arbeitsmarktangebot gebe. Ob Bäcker, Maurer, Parkettleger oder Pflegedienste – sie alle suchen verzweifelt Mitarbeiter und Auszubildende.

Zum Beispiel Susanne Thurner. Gemeinsam mit zwei Geschäftspartnern betreibt die 44-Jährige drei Restaurants in München. „Es ist wahnsinnig schwierig, Leute zu finden“, klagt sie, „gerade für die Küche. Die Studenten wollen nur bedienen, da sind wir total froh, wenn sich Asylsuchende bewerben.“ Von den derzeit rund hundert Angestellten sind etwa zehn Flüchtlinge.

„Es ist doch egal, wer wo wie was ist“, sagt Thurner. „Wer hier ist, sollte auch arbeiten dürfen. Jeder sollte das Recht haben, für sich selbst zu sorgen.“ So wie Ahmed, der in Wirklichkeit anders heißt und Küchenhilfe in einem von Thurners Restaurants ist. Doch jetzt wurde seine Arbeitserlaubnis nicht mehr verlängert. Der Afghane müsse eine beglaubigte Geburtsurkunde beibringen, hieß es. „Und wir müssen ihn jetzt von einem Tag auf den anderen ersetzen.“

Dabei hat sich etwas geändert in Bayern. Seit November ist eine neue Regierung im Amt, die CSU ist nun auf die Freien Wähler als Koalitionspartner angewiesen. Die sind zwar für einen pragmatischeren Umgang mit Arbeitserlaubnissen, vertreten ihre Position bislang aber mit wenig Nachdruck.

Kein grundsätzliches Umdenken

Immerhin: Das Innenministerium zeigte sich zuletzt gesprächsbereiter. In Einzelfällen korrigiert das Ministerium laut Dünnwald inzwischen auch schon mal negative Entscheidungen der Ausländerbehörden. Doch von einem grundsätzlichen Umdenken sei noch nichts zu spüren. So sei ein neues innenministerielles ­Schreiben, das als Erleichterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt angekündigt worden sei, letzten Endes ein Aufguss eines Papiers von 2016 gewesen, das für eine strikte Arbeitsverhinderungspolitik stand.

Die Leiterin der Ausländerbehörde Starnberg beispielsweise beruft sich explizit auf die Ansage aus dem Ministerium: „Unverändert durch die neue Weisungslage gilt der Vorrang der Aufenthaltsbeendigung“, schreibt sie an die ehrenamtliche Unterstützerin eines nigerianischen Flüchtlings. Die Chancen für eine Arbeitserlaubnis hängen auch vom jeweiligen Wohnort ab. So gelten die Ausländerbehörden in Stadt und Landkreis München als vergleichsweise liberal, in den Landkreisen Fürstenfeldbruck, Erding, Freising und Starnberg dagegen sind nach Bewertung der Flüchtlingshelfer die Hardliner am Werk. Dasselbe gilt für Ebersberg, wo Maka Seck untergebracht ist.

Sehr viele Flüchtlinge seien deshalb inzwischen verschwunden, sagt Dünnwald, nicht in ihre Heimatländer, sondern zum Beispiel nach Frankreich. „Da leben sie zwar auf der Straße, aber wenn sie einen Job bekommen, haben sie eine Legalisierungsperspektive.“ In Bayern dagegen hätten sie gar keine Aussichten. Dabei ist es ja nicht so, dass in Bayern keine Flüchtlinge arbeiteten. Im Gegenteil: Ende 2018 hatten 90.000 überwiegend anerkannte Flüchtlinge Arbeit, 13.000 einen Ausbildungsplatz. Die anderen, die ohne Bleibeperspektive, fielen im Vergleich dazu gar nicht so sehr ins Gewicht. Deshalb ist für Dünnwald und seine Mitstreiter klar, was zu tun ist: Lass mas halt arbeiten.

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