Armutsbericht 2018: Bildung schützt vor Armut nicht

Der Paritätische Gesamtverband möchte mit Klischees aufräumen und fragt in seinem Bericht: Wer sind die Armen eigentlich?

Menschen stehen hintereinander an einer Essensausgabe an

Schlange in einer Tafel: Bei manchen Menschen reicht das Geld nicht einmal für Lebensmittel Foto: dpa

BERLIN taz | Armut ist für die Parteien links der CDU wieder sexy: SPD-Chefin Andrea Nahles will auf dem Debattencamp Hartz IV hinter sich lassen. Grünen-Chef Robert Habeck möchte eine Grundsicherung ohne Arbeitszwang und Sanktionen. Und Linken-Chefin Kipping sagt im taz-Gespräch: „Hartz IV durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 1.050 Euro zu ersetzen fordern wir ja seit Jahren.“ Aber wer sind eigentlich die Armen, um die es geht?

Laut dem Armutsbericht 2018, den der Paritätische Gesamtverband am Donnerstag vorgestellt hat, leben rund 13,7 Millionen Menschen in Deutschland in Armut – das heißt: mit einem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Verbandes, sagte, der Bericht wolle, „populäre, aber falsche Bilder über Armut in Deutschland korrigieren“. Die Erkenntnisse, die auf Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zurückgehen, zeigen: Arm sind nicht nur Arbeitslose, Alleinerziehende, Migranten, ungebildete und unqualifizierte Menschen oder befristet Beschäftigte. Arm sind laut Schneider „in der ganz überwiegenden Zahl hier in Deutschland geborene Menschen und Personen mit zumeist mittlerem oder höherem Qualifikationsniveau“.

Fast drei Viertel der erwachsenen Armen seien entweder erwerbstätig (ein Drittel), in Rente (ein Viertel) oder in Ausbildung (12 Prozent). Nur knapp ein Fünftel der Armen seien arbeitslos. Ebenso knapp drei Viertel der über 25-jährigen Armen haben laut dem Bericht zudem ein mittleres oder hohes Qualifikationsniveau.Der Paritätische Gesamtverband fordert deshalb eine Armutspolitik, die diesen differenzierten Befund ernst nimmt, konkret auch ein Rentenniveau von 53 Prozent oder einen Mindestlohn von 12,63 Euro. Leiharbeit und sachgrundlose Befristungen sollen eingedämmt werden.

Kerstin Tack, SPD

„Die Agenda-Reformen waren zur damaligen Zeit weitgehend richtig“

„Deutschland hat ein Armuts-Problem“, sagte Sven Lehmann, sozialpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, der taz. Der große Anteil an erwerbstätigen Armen müsse für die Bundesregierung „ein Weckruf“ sein. Dietmar Bartsch, Linken-Fraktionsvorsitzender, erklärte: „Wenn in unserem Land nicht einmal mehr Arbeit oder Bildung davor schützen, in Armut zu fallen, ist das ein Offenbarungseid.“

Kerstin Tack, Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Arbeit und Soziales, kritisierte den Bericht: Armutsrisikogrenze werde hier mit Armutsgrenze gleichgesetzt. Gegen Armut arbeite die SPD ohnehin „mit Hochdruck“. Nächstes Jahr würden etwa die Grundrente kommen und Selbständige in die Rentenversicherung einbezogen werden. Zugleich sagte Tack: „Die Agenda-Reformen waren zur damaligen Zeit weitgehend richtig.“

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