Argentiniens Staatsschulden: Pleitegeier über dem Río de la Plata

US-Hedgefonds fordern die Zahlung alter Staatsschulden von Argentinien, doch die Regierung stellt sich quer. Nun droht die Zahlungsunfähigkeit.

Kein Zusammenbruch wie 2001/2002: Alte Währung im Schuldenmuseum von Buenos Aires. Bild: ap

BUENOS AIRES taz | An der Fassade der Ökonomischen Fakultät der Universität der argentinischen Hauptstadt hängt ein merkwürdiges Plakat. Es zeigt den Leib eines Geiers mit dem Kopf eines Menschen. Letzterer trägt die Züge von US-Richter Thomas Griesa. Der 83-Jährige New Yorker ist derzeit Argentiniens Buhmann Nummer 1. Er wird dafür verantwortlich gemacht, dass das Land bis Ende Juli 1,3 Milliarden Dollar zahlen muss. Andernfalls droht das Etikett „zahlungsunfähig“.

Roberto Maure schüttelt den Kopf: „Griesa hat am wenigsten Schuld an dem Ganzen. Der da hat richtig Dreck am Stecken.“ Der Finger des Ökonomiestudenten deutet auf Domingo Cavallo, dessen Konterfei auf einer der Infotafeln im in der Fakultät untergebrachten Schuldenmuseum prangt. „Während der Militärdiktatur 1976–83 hat er als Zentralbankchef Milliarden privater Dollarschulden verstaatlicht. Und das ist nicht alles.“

Roberto geht weiter zur Tafel mit der Aufschrift „Megacanje“: Im Juni 2001 hatte Cavallo als Wirtschaftsminister einen riesigen Umtausch von Schulden organisiert: 46 alte Titel wurden in 5 neuen zusammengefasst. Das bedeutete mehr Tilgungszahlungen für den Staat – aber dafür auch längere Laufzeiten. „Davor hatten wir 159 Milliarden Dollar Schulden“, erklärt Roberto, „danach 214 Milliarden – inklusive 147,5 Millionen Kommission für die beteiligten Banken.“

Dafür ist bis heute niemand zur Rechenschaft gezogen worden. Trotzdem schimpfen die Argentinier auf Geierfonds, Leichenfledderer und Richter Griesa. Moralisch mag deren Handeln verwerflich sein – juristisch ist es korrekt. Die Titel unterliegen US-Gerichtsbarkeit, wurden ordentlich ausgestellt und legal von Hedgefonds erworben.

Knappes Gut: US-Dollar

Lange konnte Argentiniens Regierung die Gläubiger der „Holdouts“ genannten nicht restrukturierten Titel einfach ignorieren. Nach der Staatspleite und dem Schuldenschnitt war der Staat auf dem internationalen Kapitalmarkt zwar ein tiefschwarzes Schaf und bekam keine neuen Kredite, doch eine positive Handelsbilanz machte das erträglich. Die notwendigen Dollars kamen aus dem Export von Rohstoffen wie Metallen, Erzen oder Soja, aus daraus hergestellten Produkten sowie Öl und Gas.

Doch damit ist seit 2009 Schluss. Die Öl- und Gasförderung ging zurück, Argentinien muss immer mehr Energieträger einführen. Die Handelsbilanz schlug ins Negative um. Der Dollar wurde zum knappen Gut.

Für Menschenrechtler wie Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel oder die Präsidentin der Mütter der Plaza de Mayo, Nora Cortiñas, sind die aktuellen Ausstände nicht mehr „handhabbar“. „Argentinien hat seit dem Jahr 2003 173 Milliarden Dollar an Forderungen und Zinsen gezahlt. Dennoch ist die Verschuldung von 144 Milliarden im Jahr 2002 auf 240 Milliarden Dollar angestiegen“, heißt es in einem Mitte Juli veröffentlichten Aufruf, in dem die Regierung zur Verweigerung weiterer Zahlungen aufgefordert wird.

Pleite: Um den Jahreswechsel 2001/2002 stellte die Republik Argentinien den Schuldendienst ein. Vorausgegangen war eine tiefe Wirtschafts- und Finanzkrise, an deren Ende die Regierung die Sparguthaben der Bürger einfror. Daraufhin jagten diese die Staatsführung aus dem Amt. Innerhalb von 14 Tagen gaben sich fünf Präsidenten die Klinke in die Hand.

Stabilisierung: Mit dem Angebot, den Schuldendienst wieder aufzunehmen, wenn die Gläubiger auf einen erheblichen Teil ihrer Forderungen verzichten, wurden 2005 und 2010 unter Präsident Néstor Kirchner zwei Umstrukturierungsprogramme aufgelegt, an denen sich 92 Prozent der Gläubiger beteiligten.

Restschulden: 8 Prozent aber lehnten das Angebot ab. Ihnen hat Argentinien bis heute nichts gezahlt. Die Tilgungssumme beläuft sich inzwischen auf rund 15 Milliarden Dollar. Dazu gehören auch Titel im Wert von 1,3 Milliarden Dollar, die sich größtenteils im Besitz von US-Hedgefonds befinden. Diese hatten sie nach dem Staatsbankrott auf dem Kapitalmarkt für einen Preis weit unter dem Nominalwert erstanden und sich seitdem in den USA durch alle Instanzen geklagt, um Argentinien zu zwingen, seine Schulden vollständig zu bedienen.

Aktuell: Heute ist die Lage anders. Zwar machen die hohe Inflationsrate und eine Wirtschaftsrezession den Argentiniern zu schaffen, doch der Staat steht nicht vor der Pleite. Trotzdem droht der Stempel „zahlungsunfähig“, weil die US-Justiz die Tilgung der Ende Juli fälligen Raten verhindert. (juevo)

Doch Präsidentin Cristina Kirchner will ihre Ausgabenpolitik nicht ändern. Ende 2015 läuft ihre 2. Amtszeit aus, eine erneute Kandidatur verbietet die Verfassung. Die Ära soll als „gewonnenes Jahrzehnt“ in die Geschichtsbücher eingehen. Das schließt Sparprogramme und den drastischen Abbau von Subventionen und Sozialausgaben aus.

Einigung mit den Holdouts

Dabei ist durchaus umstritten, ob es der Mehrzahl der Argentinier heute wirklich besser geht. Laut Statistikbehörde leben derzeit 3,5 Prozent der 40 Millionen Einwohner in Armut. Sozialforscher der katholischen Universität errechneten dagegen 27,5 Prozent armer Bürger.

Um an genug Dollars für ihre Politik zu kommen, ist die Regierung dringend auf den Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten angewiesen. Deshalb wurde in den vergangenen Jahren ernsthaft versucht, alle Hindernisse zu beseitigen, die Argentiniens Kreditwürdigkeit noch im Wege stehen. Was jetzt noch aussteht, ist die Einigung mit den Holdouts. Doch dafür müssen die Politiker in Buenos Aires Zeit gewinnen.

Die umstrukturierten Kredite sind mit einer Klausel versehen, nach der das Land bis Ende 2014 jenen Gläubigern keine besseren Tilgungsbedingungen einräumen darf, die nicht an den Umschuldungsprogrammen teilgenommen hatten. Sollte es dazu kommen, droht eine Flut von Nachforderungen in bis zu dreistelliger Milliardenhöhe.

Die Infotafeln im Schuldenmuseum endet im Jahr 2007. Auch wenn die Ratingagenturen Argentinien als zahlungsunfähig einstufen sollten, werde sich ein Zusammenbruch wie 2001/2002 nicht wiederholen, ist sich Roberto Maure sicher. Dafür sei die Wirtschaftslage zu gut.

Trotzdem wird bereits an neuen Tafeln gearbeitet. Dass Griesa darauf als Vogelmensch erscheint, glaubt der Ökonomiestudent nicht – aber dafür Domingo Cavallo. Der steht seit Ende Juni wegen Unregelmäßigkeiten und Vorteilsgewährung beim Megacanje vor Gericht.

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