Alltag in Palästina
: Trauer und Ironie

Ausgerechnet die Farbe Rosa verheißt nichts Gutes: Wer bei der Einreise am Tel Aviver Flughafen einen rosa Zettel in den Pass gelegt bekommt, kann sich auf längere Verhöre mit dem israelischen Sicherheitspersonal gefasst machen. Es reicht schon, Palästinenser zu sein und in den besetzten Gebieten zu wohnen, um als rosa klassifiziert zu werden. Suad Amiry ist Palästinenserin und gehörte zur Friedensdelegation, die Anfang der 1990er-Jahre in Washington mit den Israelis verhandelte. Die distanzlosen, enervierenden Fragen der Beamten über ihren weitläufigen familiären Hintergrund und den Anlass ihrer Reise reizen sie zu der schlichten Behauptung, in London tanzen gewesen zu sein. Das finden die Beamten gar nicht witzig. Und dann verdirbt ihr auch noch ihr eigener Fahrer den Spaß, indem er sie mit der Information, sie sei „ein hohes Tier“ der Fakultät für Architektur an der Universität von Bir Zeit, aus der kniffligen Situation rettet.

Mit viel Sarkasmus und Ironie erzählt die bekannte palästinensische Intellektuelle vom schweren Alltag unter der israelischen Besatzung. Ihre tagebuchartigen Aufzeichnungen umfassen vor allem den Zeitraum 2001 bis 2002. Damals hatte die israelische Armee im Auftrag ihres Ministerpräsidenten Scharon das Westjordanland blutig zurückerobert und Palästinenserpräsident Arafats Hauptquartier in Ramallah belagert. Weil Amirys Schwiegermutter mitten im Gebiet des Bombenhagels wohnte, holte sie die 90-Jährige, als die allgemeine Ausgangssperre kurzfristig aufgehoben war, zu sich nach Hause. Für die engagierte Friedensaktivistin begann damit neben der israelischen auch noch die schwiegermütterliche Besatzung, denn die Alte mischte sich nervtötend in ihren Tagesablauf ein.

Während der quälenden Wochen unter Hausarrest wurde das Notieren der alltäglichen Begebenheiten für sie zur Therapie. Die vielen Momente von Angst, Trauer und Sehnsucht konnte sie so besser verarbeiten. Hunderttausende ausgerissene Olivenbäume und Palmen, zerstörte Wohnhäuser und dem Erdboden gleichgemachte historische Bauwerke bilden den Hintergrund ihrer Beschreibungen, „rasselnde Panzer“, Bombardements und Schüsse die Geräuschkulisse. Während der kurzen Pausen von der Ausgangssperre zerrten die unter Strom stehenden, lärmenden Kinder der Nachbarschaft an den Nerven der Autorin. Doch sie beschloss, „dass es besser ist, das Geschrei dieser Kinder zu hören als das Gezeter ihrer Mütter, die nur allzu gerne die Gelegenheit nutzen, ihre eigene Scharon-Verbitterung an den Kindern auszulassen“.

Schlaf wird zur Flucht vor der Langeweile und das Telefon der einzige Draht nach außen. In einer fiktiven Szene spricht Amiry mit US-Präsident Bush, um ihm klar zu machen, in welcher Situation die Palästinenser sich befinden. Bush versteht statt curfew (Ausgangssperre) aber carefree und lobt Israel als freies und demokratisches Land. Arrest hält er für a rest – Ruhe – und bestärkt die Palästinenser, sich zu schonen, denn bald hätten sie ja ihren Staat. Neben satirischen Einlagen blickt die in Damaskus geborene Autorin, die in Jordanien aufwuchs und im Libanon, den USA und Schottland studierte, aber auch zurück. Sie erzählt, wie sie 1981 Amman verließ, um nach Palästina umzuziehen, das sie nur aus den Erzählungen ihrer damals vertriebenen Eltern kannte.

Amiry schreibt ohne Larmoyanz und ohne die in der Region weit verbreitete Opferhaltung. Sogar als Privilegierte ist ihr Leben durch die Besatzung erheblich einschränkt, jedoch hat sie nicht denselben Leidensdruck wie die Menschen in den Flüchtlingslagern. In dieser Hinsicht ist ihr Tagebuch nur für einen Teil der palästinensischen Gesellschaft repräsentativ. Ihr Zugang ist jedoch gerade angesichts des Elends und Pessimismus erfrischend und zeigt, dass auch unter einer demütigenden Besatzung ein „normales Leben“ stattfindet. Die mutige Akademikerin, die zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gegen die palästinensischen Selbstmordattentate zählt, hat ihr Buch den „Frauen in Schwarz“ gewidmet, die wöchentlich auf öffentlichen Plätzen gegen die Besatzung demonstrieren. In Israel ist es mit Enthusiasmus aufgenommen worden.

ALEXANDRA SENFFT

Suad Amiry: „Scharon und meine Schwiegermutter“. Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Fischer Taschenbuch, Frankfurt a. M. 2004, 144 Seiten, 7,90 Euro