Nicht für tausend Tequilas zurück nach Deutschland

Walter Reuter floh vor den Nazis nach Mexiko. Dort wurde der Berliner ein berühmter Fotograf. Das Kino Lichtblick zeigt heute einen Film über ihn

Hundert Jahre wäre er gerne alt geworden, erzählen seine Freunde. Das hat er nicht ganz geschafft. Im Januar 1906 ist Walter Reuter in Charlottenburg geboren, im März 2005 starb der Fotograf und Filmemacher in seiner Wahlheimat Mexiko. Er war einer der allerletzten deutschen Exilanten der Nazizeit in Übersee.

Der deutschen Presse war die Nachricht gerade mal eine kleine Meldung wert. In Mexiko hingegen war Walter Reuter als „Maestro der humanistischen Fotografie“, wie es bei einer Gedenkfeier hieß, hoch verehrt.

Als Spross einer Berliner Proletenfamilie trat er schon mit 14 aus der Kirche aus – „will in keinem Verein sein, der die Waffen absegnete“ – und stattdessen den Wandervögeln bei. Aus der Druckerei, in der der gelernte Chemograf arbeitete, flog er 1929 wegen politischer Aktivitäten raus. Vom Arbeitslosengeld kaufte er sich seine erste Kamera und landete als Freier bei der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung.

So ist es sein Lebtag weitergegangen: dass es ihn, den sanften wie abenteuerlustigen Gesellen, immer irgendwohin verschlug. Im Frühjahr 1933 floh er mit seiner jüdischen Freundin nach Spanien, im Bürgerkrieg kämpfend und fotografierend. Es folgte eine halsbrecherische Odyssee durch Frankreich und die marokkanische Sahara, über Casablanca gelang 1942 die Flucht nach Mexiko. Hier musste er den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zunächst erbetteln. Von der deutschen Exilgemeinde, die von Grabenkämpfen zwischen Stalinisten und Trotzkisten zerrissen war, hielt er sich fern, schon in Spanien waren ihm alle Parteikommunisten zum Gräuel geworden. Dann machte er sich als unabhängiger Fotoreporter und Filmemacher einen Namen.

Berühmt geworden sind seine Fotos vom Tanz, seit der Berliner Avantgarde seine große Passion. Ein weiteres Lieblingsmotiv war das indigene Leben, das er auf ausgedehnten Streifzügen mit der Kamera erkundete. Von einer dieser Erkundungen, der über Jahre gepflegten Freundschaft mit dem Volk der Triques in den Bergen Südmexikos, erzählt der 1991 produzierte Film „Annäherung“ von Lothar Schuster. Die unbefangene Neugier bar jeder ethnologischen Ambition ermöglichte ihm einen Zugang zu indigener Alltagskultur.

„Die Großzügigkeit der indianischen Bevölkerung war meinem Charakter ja sehr verwandt“, sagte Reuter vor Jahren einmal im Gespräch mit der taz. Die Indios, so schreibt der Kunstwissenschaftler Michael Nungesser, waren für Reuter „vertrautes Gegenüber, als individuelle, selbstbewusste Menschen“, fotografiert oft aus „leichter Untersicht“ – eine Optik des Respekts, ohne jede Mystik oder Exotisierung.

Zugleich gilt „Don Walter“ in Mexiko als einer der Begründer des modernen Fotojournalismus, stets vom Rande her und in sozialkritischer Tradition, doch nie nur anklagend. „Ich kam nicht nach Mexiko, um Armut zu fotografieren. Mexiko hat mir das Leben gerettet, und daher werde ich immer seine positiven Seiten sehen.“ Das sei, so seine Tochter Hely, das Lebens- und Arbeitsmotto gewesen.

Noch bis Ende der 90er war der Greis mit dem schlohweißen Haar und den buschigen Augenbrauen auf fast jeder Foto-Vernissage anzutreffen, umlagert von jungen Fotografen. Eines war ihm immer klar: „Nicht für tausend Tequilas würde ich nach Deutschland zurückkehren.“

Sein Bildarchiv, das die Tochter seit ein paar Jahren sortiert, soll insgesamt um die 120.000 Negative umfassen. Reuter selbst mochte das nicht recht glauben. „Ich bin ja gar kein tüchtiger Arbeiter, ich bin eher ein fauler Knochen. Ich mach das eigentlich vorm Frühstück oder aus dem Handgelenk“, sagte er. Es klang nicht kokett. Eher ziemlich berlinerisch. ANNE HUFFSCHMID

Der Film „Annäherung – Walter Reuter, Fotograf und Filmemacher im Exil“ von Lothar Schuster läuft am 7. und 8. Mai im Kino Lichtblick in Prenzlauer Berg, Kastanienallee 77