Anruf beim Gerichtsdirektor

UNABHÄNGIGKEIT Das Kieler Justizministerium soll sich bei einer Gerichtsentscheidung eingemischt haben, behauptet ein Richterverband. Es ging um die Überwachung eines ehemaligen Sicherungsverwahrten

Hat das Kieler Justizministerium versucht, Einfluss auf eine richterliche Entscheidung auszuüben? Diesen Vorwurf erhebt die Richterschaft in Schleswig-Holstein. Es geht um den Fall eines Pädophilen. Der heute 72-Jährige saß wegen Missbrauchs an 99 Jungen neun Jahre lang in Haft und kam frei, als die alte Regelung zur Sicherungsverwahrung geändert wurde. Der Mann lebt zurzeit in Neumünster. Die Polizei ließ den Rentner überwachen, die Observation endete aber nach vier Monaten.

Um diese Maßnahme zu verlängern, sei es notwendig, den Mann zu hören, befand die zuständige Richterin. Es soll dann einen Anruf aus dem Justizministerium beim Direktor des Amtsgerichts Neumünster gegeben haben. Die Neue Richtervereinigung sieht darin den Versuch, über den Kopf der Zuständigen hinweg eine Entscheidung durchzudrücken. Zurzeit wird der Mann wieder beobachtet.

„Fakt ist, dass die Richterin auf den Antrag der Polizei, der erst einen Tag vor Ablauf der angeordneten Observation bei dem Amtsgericht einging, einen Termin zur Anhörung des Betroffenen anberaumt hatte. Fakt ist weiter, dass der Abteilungsleiter aus dem Justizministerium wegen dieses Falles bei dem Direktor des Amtsgerichts angerufen hat“, so die Richtervereinigung. Der Sprecher des Justizministeriums, Oliver Breuer, wies „Vorwürfe einer Einflussnahme entschieden zurück“. Für die Richtervereinigung ist der Fall damit nicht ausgestanden, sie verlangt „Aufklärung und Transparenz“ von Justizministerin Anke Spoorendonk (SSW).

Die Richter geben zu, dass der Ärger der Politik über das Ende der Observation „verständlich und nachvollziehbar“ sei. Der 72-jährige Straftäter darf sich Kindern nicht mehr nähern, tue es aber, so Nachbarn. Eltern protestieren gegen seine Anwesenheit, neuerdings kommen auch Schaulustige. Dem Mann droht eine neue Gefängnisstrafe, weil er gegen die Auflagen verstoßen hat. Darüber wird im November verhandelt.  EST