das portrait
: Wie Boris Johnson das britische Rennen um Mays Nachfolge gewinnen will

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Seit Montag ist das Rennen eröffnet: Wer übernimmt die Führung der britischen Konservativen und wird dadurch Großbritanniens nächster Premierminister? Ginge es nach der Parteibasis, kommt nur einer infrage: Boris Johnson.

Der 54-jährige blonde Brexiteer ist nicht nur der bekannteste Politiker des Landes – für seine Verehrer kann nur er die gebeutelte Partei nach drei Stressjahren mit Theresa May und 8 Prozent bei der Europawahl neu aufrichten und bei möglichen Neuwahlen die Populisten Nigel Farage und Jeremy Corbyn in die Schranken weisen.

Doch so beliebt Boris Johnson an der Basis ist, so unbeliebt ist er in der Fraktion, und die ist als Erste am Zug. Nachdem am Montagabend die Kandidatenriege feststehen sollte, stimmen die 312 konservativen Unterhausabgeordneten in mehreren Wahlgängen ab. Der Letztplatzierte scheidet immer automatisch aus; wenn nur zwei übrig sind, kommen die Mitglieder dran.

Johnson muss also unter den ersten zwei enden – dann gewinnt er. Und seine Gegner müssen ihn vorher durch kluge Allianzenbildung aushebeln – sonst gewinnt er. Derzeit stolpert ein Rivale nach dem anderen über Drogenkonsum. Boris Johnson, der an Lächerlichkeit gedeiht, ist wohl der Einzige, der ungestraft zugeben kann, dass man ihm als Student in Oxford Kokain angeboten habe, aber „ich musste niesen und es ging nicht in die Nase“.

Der Favorit hat dazugelernt seit dem Brexit-Referendum von 2016. Der Chaot, der beim Kampf um David Camerons Nachfolge daran scheiterte, dass er vergaß, seine eigenen SMS-Nachrichten abzuschicken, wirbt jetzt mit einem professionellen Wahlkampfteam gezielt um einzelne Parlamentarier. Der Dampfplauderer, der mit rhetorischer Brillianz politische Widersprüche einebnete, schirmt sich jetzt mit einem professionellen Medienteam ab. Sogar seine Frisur ist brav.

Der Provokateur aber, der einst mit gezielt umstrittenen Aussagen die politische Agenda setzte, ist der alte geblieben. Wenn er sagt, Großbritannien werde die EU am 31. Oktober mit oder ohne Deal verlassen, applaudiert die Basis und alle anderen Kandidaten streiten darüber tagelang. Wenn er ankündigt, er als Premierminister werde die der EU zugesagten 39 Milliarden Euro britischen Beiträge nach dem Brexit „zurückhalten, bis wir mehr Klarheit über die Zukunft haben“, regt sich Emmanuel Macron auf und eine bessere Wahlkampfhilfe kann es für Boris Johnson gar nicht geben.

Als Premierminister müsste Johnson an alte Zeiten anknüpfen: nicht an seine glücklosen Jahre 2016 bis 2018 als Außenminister, sondern an seine brillanten Jahre 2008 bis 2016 als Oberbürgermeister Londons, das er zu neuer Blüte brachte und mit seiner Selbstironie ansteckte. Boris Johnson will die leuch­tende Zukunft, die er Großbritannien mit dem Brexit verspricht, selbst verkörpern. Das Risiko besteht, dass er auf dem Weg vom Entertainer zum Staatsmann an Witz einbüßt, aber an Würde nicht dazugewinnt. Nach dem Trauerkloß May vielleicht aber nicht das Schlechteste. Dominic Johnson