Geburt, Tod, die Liebe

Das Performanceduo Once We Were Islands joggt im Ballhaus Ost mit „Dogs of Love“ durch die Themen, die das Leben eben so ausmachen

Spurensuche beim Joggen: „Dogs of Love“ Foto: Julian Hemelberg

Von Linda Gerner

Zwei Laufbänder, zwei Männer, gleiche Shorts,gleiches Muskelshirt. Sie schauen sich an, ihre Schritte werden synchron. Sie sprechen miteinander. Miteinander und übereinander. Während sie aufeinander zulaufen, aber auch in gegensätzliche Richtungen joggen, lassen sie kein großes Thema aus: Geburt, Tod, Liebe, Glaube. Was das menschliche Leben so ausmacht.

Chris Gylee und Richard Aslan sind seit neun Jahren Lebenspartner und arbeiten als das queere Performancekollektiv Once We Were Islands seit 2012 künstlerisch zusammen. In „Dogs of Love“ verbinden sie ihre gemeinsame Joggingleidenschaft mit der Spurensuche einer intensiven queeren Liebesbeziehung. Diese setzt zunächst bei den Individuen an: Was hat dich bis zu unserem ersten Aufeinandertreffen geprägt? Wie soll deine Lebensgeschichte weitergehen? Joggend teilen die beiden gebürtigen Engländer autobiografische Schnipsel, verweben sie mit queeren Erzählungen und Biografien, etwa von Audre Lorde oder Jack Bee Garland. Das ist visuell intensiv –kontrahierende Muskeln sind da zu sehen im Ballhaus Ost, Schweiß, zwei niemals stillstehende Laufbänder – und auditiv poetisch: „Du schmeckst meine Lippen, meine Hand ist in deinem Haar. Sonne fällt durch das offene Fenster. Wir küssen uns.“

Die Performance erkennt an, wie viel Arbeit es ist, eine dauerhafte Beziehung mit einem Menschen zu führen. Queere Personen und gleichgeschlechtliche Paare erleben zusätzlich Diskriminierungen. Die Trennungsquote ist bei queeren Personen nachgewiesenermaßen höher, ebenso die psychische Belastung.

Davon ausgehend fragen sich die beiden Künstler, wie man zusammenbleiben kann, was es bedeutet, sich wirklich aufeinander einzulassen. Ein anstrengender Prozess, so scheint es, nicht nur wegen des Dauerlaufs. Zwischen vielen Küssen, gemeinsamem Einschlafen und Galeriebesuchen liegen eben auch das Kennenlernen der eigenen Sexualität, Eifersucht und Unsicherheit: „Wirst du jemals deinen Freunden von mir erzählen?“

Durch die offene Form der Erzählungen, manchmal reichen Schlagworte aus, ist „Dogs of Love“ eine unprätentiöse Einladung an die Zuschauenden, eigene Erfahrungen und gesellschaftliche Normen zu reflektieren. Das kann bereits bei der Verortung der Geschichten anfangen: Wer bin ich, wer bist du, wer ist er und wer sie? Ist das überhaupt wichtig? Warum messen wir Personalpronomen in Geschichten eine so große Bedeutung bei? Anhand ihrer eigenen Biografien fragen sich Aslan und Gylee, wer ihre queere Familie ist und ob nicht etwas ganz anderes als Blutsverwandtschaft Menschen einander zugehörig fühlen lässt.

Ist es anfänglich noch ungewohnt, Menschen beim Sport anzustarren, sorgt die gleich bleibende Szenerie der beiden laufenden Performer irgendwann für Entspannung. Die Konzentration liegt vollständig auf dem kurzweiligen und persönlichen Austausch von Rückblicken und Zukunftsvisionen. Dieser wird mit Störsignalen und humoristischen Dialogen aufgebrochen. Die beiden diskutieren den Grad ihrer Erschöpfung oder mokieren sich über ihre eigene Sinnsuche mit hochtrabenden Metaphern und dem gekeuchten Zusatz: „Keine Ahnung, ob die funktioniert.“

Beim Verlassen des Ballhauses Ost fällt der Blick aufs Toi­lettenschild: eine Figur, der Körper mutet wie ein halbes Kleid, eine halbe Hose an, darunter die Aufschrift: Which­ever. Zwei Männer stehen eng verschlungen davor, sie hören, sie sehen nichts. Das Stück animiert zum Küssen. An der U-Bahn-Station singt ein Straßenmusiker inbrünstig vom Herzschmerz, eine Frau steht daneben und weint. Es ist inzwischen dunkel, eine Hertha-BSC-Werbung beleuchtet die Szenerie: „In Berlin kannst du alles sein.“

Dogs of Love: (in englischer Sprache) Ballhaus Ost, Pappelallee 15, Sa./So. 20 Uhr