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: Türkei greift Stellungen der PKK in Nordirak an

Erneut überschreiten türkische Truppen die Grenze – der politische Protest bleibt vorerst aus. Präsident Erdoğan dürfte versuchen, den Angriff bei der Istanbul-Wahl für sich zu nutzen

Das Neue

Die türkische Armee hat am Montagabend einen grenzüberschreitenden Angriff auf Stellungen der kurdischen PKK im Nordirak begonnen. Wie der türkische Generalstab am Dienstag mitteilte, sind daran Bodentruppen, Kampfflugzeuge und bewaffnete Drohnen beteiligt. Ziel sei es, PKK-Stellungen und Verstecke in den grenznahen Bergen auf irakischer Seite zu „eliminieren“.

Der Angriff begann mit Artilleriebeschuss am Montagabend und wurde die Nacht über fortgesetzt. Türkische Medien zeigten Bilder, wie Sonderkommandos aus Hubschraubern in der Bergregion abgesetzt wurden. In den letzten Monaten war es an der türkisch-irakischen Grenze wiederholt zu Kämpfen zwischen der türkischen Armee und PKK-Militanten gekommen. Dabei wurden mindestens acht Soldaten getötet. Wie viele PKK-Guerilleros getötet wurden, ist nicht bekannt.

Der Kontext

Seit mehr als 20 Jahren versucht die türkische Armee, die PKK in ihren Rückzugsgebieten in dem kurdischen Autonomiegebiet im Nordirak zu vernichten – bislang ohne Erfolg. Auch der jetzige Einsatz wird kaum dazu führen und hat nach offiziellen Angaben bislang auch nur ein regional begrenztes Ziel.

Nachdem es im Januar bei einer ähnlichen Aktion zu heftigen Protesten gekommen war, weil versehentlich irakische Zivilisten getötet wurden, hat Ankara die Aktion jetzt diplomatisch besser vorbereitet: Am 15. Mai besuchte der neue irakische Ministerpräsident Adil Abdul-Mahdi Ankara; am Dienstag war der kurdische Präsident des Irak, Barham Salih, in der türkischen Hauptstadt.

Die Reaktionen

Genau deshalb gab es bislang keine politischen Reaktionen auf den Angriff. Die kurdische Autonomieregierung unter Nahcivan Barzani ist nach der misslungenen Unabhängigkeitserklärung im Winter 2017 bemüht, ihre Beziehungen zur türkischen Regierung zu reparieren, und auch die irakische Zentralregierung hofft auf den Ausbau ihrer Wirtschaftsbeziehungen zur Türkei. Beides sorgte dafür, dass die türkische Armee jetzt grünes Licht für ihren Angriff bekam.

Die Konsequenzen

Indirekte Konsequenzen könnte der Angriff auf die bevorstehenden Bürgermeister-Neuwahlen in Istanbul haben. Bei der Abstimmung zwischen dem AKP-Kandidaten Binali Yıldırım und dem Oppositionsmann Ekrem İmamoğlu sind die Stimmen der fast vier Millionen Kurden entscheidend. Nicht zuletzt, weil die kurdische HDP bei der Wahl am 31. März keinen eigenen Kandidaten aufgestellt und stattdessen zur Wahl des CHP-Kandidaten İmamoğlu aufgerufen hatte, konnte die Opposition punkten.

Mit dem Angriff auf die PKK wird die Regierung unter Präsident Erdoğan nun erneut versuchen, das Thema PKK hochzuspielen und die HDP – und indirekt auch die CHP – als PKK-Freunde abzustempeln. Das Risiko dabei ist, dass nun umso mehr Kurden für İmamoğlu stimmen werden und die konservativen, religiösen Kurden, auf die die AKP hofft, eher zu Hause bleiben werden. Jürgen Gottschlich, Istanbul