Ein Elvis zum Knuddeln

Präzises Timing, kindliche Freude: Die Berliner Band Von Wegen Lisbeth bringt ihr neues Album in der ausverkauften Columbiahalle auf die Bühne – und demonstriert: Das „Indie“ vorm „Pop“ darf man streichen

Von Jan Jekal

Ein violett angestrahlter Vorhang, nah am Bühnenrand, nur ein paar Keyboards und Mikrofonständer sind davor zu sehen. Der Rest des Instrumentariums bleibt vorerst verborgen. Über die Hallenanlage läuft leise Fleetwood Mac, später Tears For Fears, bestimmt von der Band ausgesucht. Dann wird es lauter, man hört verhallte Glockenspiel-Arpeggios, die sich bald mit Streichern und Marschtrommel zu einem mächtigen Filmsoundtrack entwickeln, es wird dunkel im Saal, die Scheinwerfer drehen durch, Lichter wirbeln durcheinander. Treibende Gitarren setzen ein, eine hymnisch wabernde Synthesizer-Figur, der Vorhang fällt mit dem Einsetzen des Schlagzeugs und offenbart: die fünf Berliner der Indie-Pop-Band Von Wegen Lisbeth, auf Position, sauber im Raum angeordnet, wunderbar ausgeleuchtet in Blau und Rot.

Sie beginnen mit „Wieso“, dem ersten Lied des neues Albums „sweetlilly93@hotmail.com“, erst vor zwei Wochen erschienen, und trotzdem können hier alle die Texte. Die Columbiahalle ist ausverkauft, seit Monaten schon, das Zusatzkonzert am nächsten Tag ebenfalls. Es sind also nur richtige Fans hier, keine Gelegenheitshörer.

Der Tribünenboden zittert

Das Energielevel ist dementsprechend hoch, der Vibe erreicht sogar die letzte Reihe – und das ist nicht nur so dahingesagt, denn ich stehe in der letzten Reihe und kann das bestätigen. In der letzten Reihe oben auf der Tribüne, wohlgemerkt, also am totesten Ort, den man sich hätte aussuchen können, einem Ort, an dem man sich eher der Bar oder dem Gang zugehörig fühlt, aber eben nicht dem Geschehen auf der Bühne. Aber auch dort wird getanzt und gestampft. Der Tribünenboden erzittert, eine derartige Begeisterung habe ich in dieser Halle nie erlebt.

Das Timing der Band ist exzellent und das Tempo hoch; die Sounds sind divers, ein Xylofon, allerhand Synthesizer und E-Gitarren stehen auf der Bühne. Sänger Matze Rohde trägt Schlaghose und ein gestreiftes Hemd, und er schwingt seine Hüften auf so mitreißende und gar nicht laszive, sondern kindliche Weise, dass mein Freund ihn als „knuddeligen Elvis“ bezeichnet. Es sei schön, sagt Rohde, ihre Lieder in Berlin zu spielen, weil hier die Leute seine Referenzen verstehen. In den cleveren Texten ist Berlin wirklich ziemlich präsent: Beinahe jede Gelegenheit nutzt Rohde, um Worte wie „Landwehrkanal“, „Britz“ oder “„Buckow“ einzubauen. Als er dann sagt, dass die Band „ja eher aus der Punkrock-Ecke“ komme, verstehe ich deshalb folgerichtig, dass sie „aus der Pankow-Ecke kommen“. Früher sei ihr Ziel gewesen, erzählt er weiter, immer so besoffen wie möglich auf die Bühne zu gehen – Punkrock beziehungsweise Pankow halt –, mittlerweile läge die Aufmerksamkeit auf der Musik. Ihre heutigen Lieder könnte man berauscht auch kaum spielen, denke ich, zu präzise muss alles sitzen, zu genau rasten sie ein in den Groove.

Ganz ähnlich wie Bilderbuch, die vor einigen Wochen auch zwei ausverkaufte Konzerte in der Columbiahalle gespielt haben, demonstrieren Von Wegen Lisbeth, wie clevere deutschsprachige Popmusik klingen kann. Vor allem in der Konzert­erfahrung werden ihre Qualitäten deutlich: die Lichter, die Farben, die Sounds, die Texte: eine große Show, eine große Freude. Eine Band auf der Höhe ihres Könnens, noch in Clubs, bald in Mehrzweckhallen, wer weiß. Das „Indie“ vor dem „Pop“ kann gestrichen werden.