Machtkampf in der EU

Werden die Wähler oder Politiker entscheiden, wer nächster Kommissionspräsident wird?

Die Kandidaten müssen aufpassen, dass sie nicht unter die Räder geraten

Aus Brüssel Eric Bonse

Beim Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Rumänien hat Ratspräsident Donald Tusk einen heiklen Punkt auf die Tagesordnung gesetzt: die Besetzung von Topposten in der EU. Es soll auch um die Wahl des nächsten Kommissionspräsidenten gehen – eine Frage, die normalerweise die Europawahl klären sollte, und zwar über die Spitzenkandidaten.

Dabei gebe es „keinen Automatismus“, heißt es nun jedoch im Umkreis von Tusk. Die EU-Chefs könnten nicht garantieren, dass einer der von den Parteien bestimmten Spitzenkandidaten am Ende auch für die Nachfolge von Juncker vorgeschlagen werde. Wer die Wahl gewinne, werde eben nicht automatisch Kommissionspräsident. Tusk rüttelt damit heftig an der Europawahl und an der Macht des Europaparlaments. Indem er die Juncker-Nachfolge mit anderen EU-Jobs verknüpft – im Herbst wird auch das Amt des Ratspräsidenten, des Zentralbankchefs und der Außenbeauftragten frei –, relativiert er die Bedeutung der Kandidaten, die bei der Europawahl antreten.

So können sich Manfred Weber und Frans Timmermans – die Spitzenkandidaten der Konservativen und der Sozialdemokraten – nicht mehr sicher sein, ob im Fall eines Wahlsiegs tatsächlich als Kommissionschef nominiert zu werden. Tusk, Merkel und die anderen EU-Chefs behalten sich das letzte Wort vor. Im rumänischen Sibiu wollen sie über ein Verfahren beraten, mit dem sie – und nicht die Wähler – die Zügel in der Hand halten.

Juncker, der als erster Spitzenkandidat in sein Amt gewählt worden war, warnte die EU-Granden davor, von diesem Verfahren abzurücken. „Sie haben es schon einmal versucht, und sie werden es auch diesmal nicht schaffen“, sagte der Luxemburger. Vor Junckers Wahl 2014 hatten die deutsche Kanzlerin Merkel und andere versucht, die Nominierung zu verhindern. Sie scheiterten.

Diesmal übernimmt Ratspräsident Tusk die Regie – nicht nur mit dem Gipfel von Sibiu, sondern auch noch mit einem weiteren Sondergipfel, der nur zwei Tage nach der Europawahl in Brüssel stattfinden soll. Auch dort wollen sich die EU-Chefs mit Personalfragen be­schäftigen. Die Spitzenkandi­daten müssen aufpassen, dass sie nicht unter die Räder geraten.

Gerade laufen sich zwei Politiker für die Juncker-Nachfolge warm, die keine offiziellen Spitzenkandidaten der Parteien sind: EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und der EU-Verhandlungsführer für den Brexit, Michel Barnier. Rückendeckung bekommen sie von dem französischen Staatschef Emmanuel Macron, der das Spitzenkandidatenverfahren ablehnt. Tusk ist nicht allein.

Neben den Spitzenjobs steht in Sibiu auch eine „strategische Agenda“ für die kommenden fünf Jahre auf dem Programm. Tusk soll diese Agenda nach dem Treffen ausarbeiten, damit sie beim nächsten regulären EU-Gipfel Ende Juni verabschiedet werden kann. Auch dies ist umstritten.

Die Spitzenkandidaten für die Europawahl werben mit eigenen Programmen um die Wählergunst. Sie wollen sich die Agenda nicht vorschreiben lassen.