EuGH-Gutachter: Zwangspension war rechtswidrig

Der versuchte Richteraustausch am Obersten Gericht Polens sei gegen EU-Recht, so der Generalanwalt

Aus Karlsruhe Christian Rath

Die zeitweilig geplanten Reformen an Polens Oberstem Gerichtshof haben gegen EU-Recht verstoßen. Zu diesem Schluss kam jetzt Generalanwalt Evgeni Tanchev in einem Verfahren am Europäischen Gerichtshof (EuGH). Tanchevs Schlussanträge bereiten das EuGH-Urteil vor, das in einigen Wochen folgen wird.

Konkret geht es um eine Herabsetzung des Pensionsalters der Richter am Obersten Gerichtshof Polens auf 65 Jahre. Dadurch hätten 27 von 72 Richtern in den Ruhestand gehen müssen – außer Präsident Andrzej Duda hätte einer Verlängerung ihrer Amtszeit zugestimmt. Betroffen war auch die Präsidentin des Gerichts, Małgorzata Gersdorf, eine vehemente Kritikerin der bisherigen Justizreformen der nationalkonservativen PiS-Regierung.

Zuvor hatte die polnische Regierung durch ähnliche Manöver bereits für eine regierungsfreundliche Mehrheit am polnischen Verfassungsgericht und im Justizverwaltungsrat, der die polnischen Richter ernennt, gesorgt. Die EU-Kommission hat deshalb bereits 2016 das sogenannte Rechtsstaatlichkeits-Verfahren gegen Polen eingeleitet. Am Ende könnte Polen dabei die Stimmrechte in der EU verlieren, was aber unwahrscheinlich ist, weil Ungarn den erforderlichen einstimmigen Beschluss der EU-Staaten wohl verhindern würde.

Aussichtsreicher sind daher juristische Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen konkrete polnische Maßnahmen. Im Oktober 2018 klagte die Kommission beim EuGH gegen die Änderung der Altersgrenzen am Obersten Gerichtshof.

Bisher hatte die Kommission damit Erfolg. Im November 2018 erließ der EuGH eine einstweilige Verfügung, mit der Polen verpflichtet wurde, die Reform bis zum endgültigen Urteil auszusetzen. Polen akzeptierte die Verfügung und ließ die Richter auf ihre Posten zurückkehren.

Generalanwalt Tanchev hält es dennoch für notwendig, dass der EuGH über den Fall urteilt. Nach seinem Gutachten hat Polen das Prinzip der Unabsetzbarkeit von Richtern verletzt. Eine Änderung des Ruhestandsalters dürfe keine Rückwirkung haben. Auch die Unabhängigkeit des Gerichtshofs sei verletzt, wenn Präsident Duda über die Verlängerung der Amtszeit von Richtern entscheiden könne.

Ob der EuGH für innerstaatliche Justizreformen der EU-Staaten zuständig ist, ist umstritten. Tanchev berief sich auf Artikel 19 des EU-Vertrags, der einen „wirksamen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ gewährleistet.