berliner szenen
: Prekäre Recycling-Ökonomie

Er grüßt mich schüchtern, während er mir am frühen Nachmittag entgegenkommt, als ich mein Rad aus dem Hof zur Straße schiebe.

Er sieht aus, wie ich mir einen Kunstmaler aus dem 19. Jahrhundert vorstelle: Spitzbart, rundes, etwas rötliches Gesicht, Barett. Er wohnt nicht in meinem Haus, sonst würde ich ihn kennen. Und er geht mit dann zielstrebigem Gesichtsausdruck in Richtung Müllcontainer. Ein weiterer Flaschensammler.

Schon seit Jahren kommt „der Bodybuilder“: ein nicht mehr ganz junger, aber gut trainierter Berliner Typ mit ergrautem Irokesenschnitt, tiefen Falten und einem Plan. Er schiebt einen Einkaufswagen voller Pfandflaschen in den Hof, aber leise, Leute, leise. Er weiß um seinen peripheren Status und will nicht nerven – er will nur die Flaschen der vergangenen Nacht, die er in kürzester Zeit und ohne Lärm aus den Containern fischt, und zieht weiter. Er kommt meistens am frühen Vormittag und grüßt höflichst, wenn man ihm begegnet.

Zweitens gibt es den osteuropäischen Großvater, der gegen Mittag an allen Türklingeln gleichzeitig schellt. Wenn ich die Gegensprechanlage bediene, verstehe ich kein Wort, dann weiß ich, wer das ist, und lasse ihn rein. Er ist recht klein und trägt darum Plateausohlen und nach einer kurzen Runde entlang der Mülltonnen die Pfandflaschen, die die Nachbarn, die später aufstehen, neben die Glascontainer gestellt haben, in einem Rucksack davon.

Möglicherweise hat der Kunstmaler – so nenne ich ihn jetzt einfach mal – noch eine Nische entdeckt: den frühen Nachmittag, wenn die Studenten im Haus die eine oder andere Glasflasche ­neben den Mülltonnen abstellen.

Wenn nicht, muss er sich eine andere Route suchen. Die prekäre Berliner Recycling-Ökonomie folgt ihren eigenen, mitleidlosen Gesetzen. Tilman Baumgärtel