Deutsche Welle

Wieder mit Gefühl und Härte der Frühachtziger auf den Tanzboden: Die Kompilation „Teutonik Disaster“ versammelt einige fast vergessene NdW-Bands der Frühachtziger in clubtauglichen Nachbearbeitungen

Sa sah das in den Achtzigern aus: die Band ExKurs, eine Ausgrabung aus Berliner Wave-Zeiten Foto: P. Maset

Von Jens Uthoff

Wie viel Heute steckt bitte in diesem Song! Fast 40 Jahre hat das Stück „Fakten sind Terror“ von der Berliner Band ExKurs auf dem Buckel, und doch klingt es wie ein Kommentar zur Gegenwart. „Fakten sind Terror / im täglichen Irrtum“, singt Pierangelo Maset, Bassist und Sänger der New-Wave-Gruppe, im Refrain; das Lied beginnt mit den Versen: „Erde unwichtig / das denken alle / niemand bezweifelt diesen Fakt / doch Galilei / bekam Probleme / zu beweisen, was heute jedem selbstverständlich ist“. Im mechanischen Duktus vorgetragen, klingt es, als hätten die Musiker 1981 bereits die Deutungshoheitsschlachten und Fake-News-Wars unserer Zeit vorhergesehen. Erstaunlich auch, dass eine Band, die derart genialdilletantisch, funky und cool zugleich unterwegs war, heute völlig vergessen ist.

ExKurs ist eine von acht Bands, die auf der gerade erschienenen Kompilation „Teutonik Disaster“ mit clubtauglichen Nachbearbeitungen gewürdigt werden. Die Remix-Tracks, die von den DJs, Produzenten und Labelbetreibern Munk (alias Mathias Modica) und Kapote stammen, widmen sich allesamt vergessenen deutschen – und deutschsprachigen Bands – auf der Schwelle von Disco zu New Wave.

So sind zum Beispiel die Ruhrpottband Carmen (mit Piet Klocke und Carmen Gasper) sowie die Hamburger Gruppen Roter Mund und Die Chefs vertreten. Die Originalsampler mit vielen weiteren Stücken („Teutonik Disaster 1 & 2“) waren 2002 und 2003 bei Modicas Plattenfirma Gomma Records erschienen, die Reworks erscheinen nun auf dem Label ToyTonics, das die beiden Produzenten inzwischen gemeinsam betreiben.

Die Ausgrabungen waren seinerzeit bereits ein Geschenk für die Nachgeborenen, von vielen Bands hörte man zum ersten Mal. „Wir hatten kurz zuvor den ‚Anti NY‘-Sampler veröffentlicht, auf dem die US-No-Wave-Szene versammelt war“, sagt Mathias Modica zur damaligen Entstehung des Projekts, „dann haben wir gemerkt, dass es auch in Deutschland viel mehr spannende NDW- und Prä-NDW-Phänomene gab als wir dachten. Kurzzeitig war da auch ein großes Selbstbewusstsein vorhanden, mit der deutschen Sprache umzugehen. Das verschwand allerdings schnell wieder.“

„Techno ist wieder an einem Endpunkt angekommen, so macht es Sinn, auf Disco und New Wave zurückzugreifen“

Munk, Produzent

Die Kompilation fängt in der Tat einen Zeitpunkt ein, wo New-Wave-Minimalismus und Punk/Dada sich kongenial ergänzten. Welche Rolle Humor dabei spielte, lässt sich oft schon an den Band- und Songtiteln ablesen. So ist das erste Stück auf dem Sampler von einer Band namens Die Heteros, die sich den Irrtümern der Zweierbeziehung widmet: „Monogamie, Kannibalismus unserer Zeit“, heißt der Track.

Modica glaubt, dass viele Songs das Zeitgefühl gerade gut träfen – deshalb hätten sich beiden in München und Berlin lebenden Produzenten des Materials auch erneut angenommen. „Techno ist gerade wieder an einem Endpunkt angekommen, insofern macht es total Sinn, in dieser Entwicklung auf Disco und New Wave zurückzugreifen.“ In Clubs wie dem Berghain beobachte er es schon länger, dass DJs sich auf Epochen vor House und Techno bezögen.

Die Remixes sind nun meist noch repetitiver als die Originale angelegt, die Beats wirken um einiges wuchtiger und entfachen eine hypnotische Wirkung, manchmal an der Grenze zum Einlullenden. Damit greifen sie die Schleifen und die gewollte Monotonie der Ursprungstracks (textlich wie musikalisch) auf.

Bei „Alltag“ von BBB (Bernward Büker Bande) etwa lautet der schlichte, ständig wiederholte Refrain: „Montag / Dienstag / Mittwoch / Donnerstag/ Freitag / Samstag / Sonntag / Feiertag“. Der träge Gesang wird im Kapote-Mix nun von langsamen, roughen Beats begleitet. Alltag im Club.

Ein aus heutiger Sicht interessanter Fall sind Die Chefs. Die Hamburger Band provozierte damals mit überzeichneten chauvinistischen Texten – die Songs hießen „Oberficker“, „Frauenkörper“ oder „Softies sind Versager“. Die Provokation gelang damals wie sie wohl auch heute gelingen würde: Feministische Aktivistinnen verhinderten 1982 einen Auftritt der Band im Hamburger Logo. An dieses Stück Pop-Historie erinnern Munk und Kapote hier mit dem Track „Frauenkörper“, der zwischen funky 80er Pop und House angesiedelt ist.

Den provokativen und im Vergleich zu heute weitaus mutigeren Geist jener Zeit spiegelt der Sampler im Titel und im Artwork wider. Damit auch wirklich niemand einen Namen wie „Teutonik Disaster“ und ein Cover mit einer Wikingerfigur falsch verstehe, habe man sogar die Schrift weniger martialisch und eher comicmäßig gestaltet, erzählt Modica. Gar nicht so einfach, Künstler zu sein in derart aufgeladenen und puritanischen Zeiten, denkt man sich da.

Die Stücke auf „Teutonik Disaster“ dürften jedenfalls auf den Tanzflächen der Clubs hervorragend funktionieren. Sie zeigen der jüngeren Generation, dass die New-Wave-Epoche in Deutschland zu Unrecht auf die immer gleichen Namen – einerseits der Mainstream um Ideal, Nena und Co., andererseits die Geniale-Dilettanten-Szene – beschränkt wird. Bands wie eben ExKurs (die heute übrigens als ExKurs III als Projekt fortbestehen), Die Heteros oder BBB hätten es zumindest verdient, in der NDW-Geschichtsschreibung nicht als völlig periphere Phänomene behandelt zu werden. Und Munk und Kapote dürfen gern auch noch weitere Tiefengrabungen in der deutschen Pop-Geschichte vornehmen.

Munk presents Teutonik Disaster (ToyTonics/Wordandsound)