Die Musik mit dem Blubb

Die experimentelle neue Konzertreihe „cells, Sounds & breeding Souls“ geht auf Entdeckungsreise im weiten Feld zwischen neuer Musik und Performancekunst

Die neue Reihe im ausland: „Cells, Sounds & breeding Souls“ Foto: Dan Safier

Von Katharina Granzin

Das ausland ist voll bis obenhin. Es ist sehr eng, aber magischerweise sind exakt so viele Menschen gekommen, wie in den kleinen Kunstraum im Keller passen, ohne dass man sich gegenseitig auf dem Schoß sitzen muss. Ein ziemlich großer Teil der Fläche wird vom In­strumentarium des Abends besetzt: Unter durchsichtigen dünnen Plastikfolien sind die Umrisse eines Flügels, diverser Mikrofone und anderer musikalischer sowie technischer Equipments zu erahnen. Der Aufbau stellt von vornherein klar, dass dies kein ganz üblicher Konzertabend wird.

Dann steigen nacheinander ein langer Mann in Schwarz und ein etwas kleineres, in Plastikfolie gewickeltes Wesen eine Leiter an der Wand hinunter. Das Wesen kriecht Gollum-artig über den Boden, die Folie mit sich schleifend. Der Mann nimmt eine Geige und einen Bogen und stellt sich in Konzerthaltung auf. Aber statt den Bogen auf die erwartbare Weise zu benutzen, hält er ihn hochkant und tupft mit der Stimmschraube auf die Saiten des Instruments. Auch so kann man Musik machen. Es ist ein zarter, sehr punktueller Sound, den der Komponist Helmut Lachenmann mit dieser Spielanweisung erzeugen lässt.

„Toccatina“ heißt das Stück aus dem Jahr 1985, das der Geiger Benedikt Bindewald hier aufführt: Die Bezeichnung zitiert den etablierten Formenkanon der Musikgeschichte und wird gleichzeitig sehr wörtlich genommen, denn „toccare“ bedeutet berühren oder tupfen.

Die Entstehungsbedingungen von Klängen, bei Lachenmann ein zentraler ästhetischer Untersuchungsgegenstand, werden mit diesem kleinen Solostück programmatisch an den Anfang einer sehr besonderen Konzertreihe gestellt, die das Trio transmitter (Florian Bergmann, Benedikt Bindewalt, Alba Gentili-Tedeschi) gemeinsam mit der Performancekünstlerin Margherita Pevere entwickelt hat. Schon der poetisch raunende Titel „Cells, Sounds & breeding Souls“ weckt allerlei Assoziationen und Ahnungen darüber, was bei den Konzerten wohl passieren mag. Was man am Eröffnungsabend erlebt, ist jedenfalls der Anfang einer Reise an die Ursprünge von wohl ziemlich vielen Dingen gleichzeitig.

Das wie frisch aus dem Ei gekrochene Urwesen, als das Margherita Pevere sich den gesamten Abend auf der Bühne herumtreibt, ist beschäftigt mit primitiven kleinen Verrichtungen – sich die Plastikhaut abziehen, organisches Material in kleinere Bestandteile zerlegen; und was ist die Flüssigkeit in der Pipette, mit der sie hantiert? Blut etwa? Ein Haufen Erde liegt zentral herum. Ja, klar, da sind wir mal hergekommen. Es war ein weiter Weg, bis wir in der Lage waren, all die technischen Hilfsmittel zu ersinnen und zu bedienen, die auch nur an diesem Abend zum Einsatz kommen – vom Magneten bis zum Wasserkocher.

Der amerikanische Avantgardist Alvin Lucier zum Beispiel hat, um das Klavier zu seinen Ursprüngen – jenen eines Saiteninstruments – zurückzuführen, für „Music for Piano with Magnetic Strings“ (1995) eine komplexe Versuchsanordnung ausgetüftelt, die unter anderem zahlreiche Magnete sowie mehrere E-Bows einschließt. Die Pianistin Alba Gentili-Tedeschi muss für dieses Stück keine einzige Klaviertaste berühren, sondern präpariert das Innere des Flügels, so cool damit hantierend, als wäre er eine Art Controlpanel.

Experimentelle Heiterkeit

Der experimentelle, forschende Charakter aller Stücke des Abends hat gleichzeitig etwas Heiteres, Spielerisches, am explizitesten wohl in Neo Hülckers „unboxing transmitter“ offengelegt. Die drei MusikerInnen interagieren hier mit einer Filmprojektion (Video: Alessandra Leone), in der mal die – oft ganz schön unangenehme – sinnliche Beschaffenheit von alltäglichen Geräuschen untersucht wird, mal das Trio in seinem musikalischen Tun von der Leinwand herab kommandiert wird.

Die den Abend beschließende Komposition „Schall und Rauch“ von Klarinettist Florian Bergmann schließlich vereint alle Elemente zu einem großen Klanggemälde: instrumentale Grenzklänge mit elektronischen Samples mit suggestivem Wassergeblubber – letzteres erzeugt von einem Wasserkocher sowie von den Musikern selbst durch ausdauerndes Blubberblasen in Wasserschüsseln. Und damit wäre man nun beim ursprünglichsten aller Elemente angekommen. Die akustischen Ausschläge des Wasserblubberns sehen auf dem Monitor des Tonmeisters übrigens fast genau so aus wie die Bewegung der Wasserblasen in der analogen Wirklichkeit. Ein schönes Bild dafür, dass ja tatsächlich alles eins ist, irgendwie.

Weitere Abende der Reihe finden im Juni und im September statt. Dann wird wieder alles ganz anders sein. Sehr spannend.

Termine: 6./7. Juni, 19./20. September. Ort: ausland, Lychener Str. 60