heute in bremen
: „Der Sozialen Arbeit fehlt eine starke Lobby“

Foto: privat

Cornelia Barth, 61, gemeinsam mit Felix Pithan Landessprecherin der Bremer Linken. Seit 1992 ist Barth Sozialarbeiterin in der Drogenarbeit. Sie moderiert die Fachtagung.

Interview Stefan Simon

taz: Frau Barth, warum sollte die Wohnungsnot eine dringende Aufgabe Sozialer Arbeit sein?

Cornelia Barth: Die Anzahl der Sozialwohnungen ist seit 1990 von rund 80.000 auf rund 8.000 drastisch zurückgegangen. Der Bedarf an diesen Wohnungen dürfte in dem gleichen Zeitraum aber noch gestiegen sein.

Was bedeutet das für Sie als Sozialarbeiterin?

Wir können nicht mehr in Wohnungen vermitteln, beziehungsweise mit vermittelnden Stellen kooperieren, sondern, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur noch trösten oder in betreute Wohnformen vermitteln. Anstatt wirkliche Lebensverbesserungen zu ermöglichen, müssen wir uns damit begnügen, schwierige Wohnverhältnisse in Notübernachtungen oder persönlichen Abhängigkeiten durch tröstende Worte minimal zu erleichtern.

Was muss sich ändern?

Die Soziale Arbeit darf sich damit nicht zufrieden geben, sondern muss wieder deutlich zur Interessenvertretung ihrer Adressat*innen werden. Wohnen ist ein Menschenrecht und dieses muss wieder deutlich eingefordert und von den politischen Akteuren auch endlich umgesetzt werden.

Und warum tun sie das nicht schon längst?

Mein Studium ist schon lange, lange her und auch damals zeichnete sich der Studiengang nicht durch eine besondere Berücksichtigung der Interessen von Adressat*innen Sozialer Arbeit aus. Die Auseinandersetzung mit politischen Zusammenhängen war dem Engagement einzelner Professor*innen überlassen, aber die Hochschule selbst sah diesbezüglich keinen Bildungsauftrag. Seitdem dürfte sich diesbezüglich meines Erachtens nichts verbessert haben

Warum nicht?

Es fehlt an einer starken und lauten Lobby sowohl für unsere Klient*innen, aber auch für alle, die von Wohnungsnot und zu teuren Mieten betroffen sind. Der Paritätische hat den Begriff der Mietzahlungsarmut geprägt, das heißt, viele Menschen rutschen nach Abzug ihrer Mietzahlung unter den Hartz-IV-Regelsatz. Soziale Arbeit muss sich endlich ihrer politischen Verantwortung bewusst werden und deutlich und öffentlich Stellung beziehen. Ein Weiter so kann und darf es nicht geben, denn dies gefährdet nicht nur den sozialen Zusammenhalt, sondern den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft.

Fachtagung „Soziale Arbeit und die Wohnungsfrage“ vom Bremer Bündnis Soziale Arbeit: 16 Uhr, Bremer DGB-Haus

Auf der Fachtagung wird auch das Konzept von „Housing First“ vorgestellt. Was steckt dahinter?

Das bedeutet, dass jemand ohne Voraussetzungen zunächst eine Wohnung, einen Raum für sich bekommt. Mit dieser Ausgangsbasis kann er dann mit Unterstützung die weiteren Schritte auf dem Weg in eine Stabilisierung oder auch nur einer größeren Selbstständigkeit in Angriff nehmen. Dies kann sowohl in ganz normalen Wohnungen, aber auch in einfachen Wohnungen erfolgen. Das Entscheidende ist, dass jeder hinter sich eine Türe schließen kann und seinen eigenen sicheren Bereich hat.

Wäre das auch eine realistische Option für Bremen?

In Bremen wurden gerade die sogenannten „Schlichtwohnungen“ im großen Stil vernichtet, anstatt sie, wie auch von den jeweiligen Beiräten gefordert, einfach zu sanieren und den Menschen, die diese Wohnform gewollt hätten, zur Verfügung zu stellen. Ein bißchen grün vor der Türe und das Leben mit einem Hund hat für viele eine durch nichts anderes zu ersetzende Lebensqualität und muss auch Leistungsbezieher*innen möglich sein.