Pudelkos Stimme macht den Unterschied

40 Jahre Warten: Das Album „Letzte Ausfahrt“ der Westberliner Band Interzone mit Texten von Wolf Wondratschek ist erschienen

Von Jens Uthoff

„Mag sein, daß deutsch bald eine tote Sprache ist. Man kann sie so schlecht singen. Man muß in dieser Sprache meistens immerzu denken“, schrieb der große Rolf Dieter Brinkmann einst in „Westwärts 1 & 2“ (1975), und er hatte recht: Sehr viele scheiterten daran, Leichtigkeit, Rock’n’Roll und Sex in die deutsche Sprache zu bringen, was natürlich auch mit der Geschichte zusammenhängt.

Zu den weitestgehend vergessenen Gruppen, denen dies gelang, gehört die Westberliner Rhythm-and-Blues-Band Interzone um Sänger Heiner Pudelko, die zwischen 1979 und 1986 existierte und in dieser Zeit drei Alben und mehrere Singles veröffentlichte. Und einer, dem das literarisch glückte, war Wolf Wondratschek, der in seinem Gedichtband „Chuck’s Zimmer“ (1974) Sound und Sujets der Welt des Rock und Pop entlieh.

Die Idee, aus Wondratscheks Texten Songs zu machen, war also seinerzeit naheliegend. Da Interzone-Sänger Pudelko ohnehin Fan des österreichischen Schriftstellers war, plante er ein Album mit Vertonungen von Gedichten aus „Chuck’s Zimmer“. Eineinhalb Jahre arbeitete die Band in den Jahren 1979/1980 an den Stücken, dann nahm sie eine Demo-Version auf. Die Sache hatte nur einen Haken: Wondratschek wollte seine Texte für die Plattenfirma Warner nicht freigeben. Das Album erschien nie.

Bis zum vergangenen Freitag. Da machte die überraschende Meldung die Runde, dass das Album unter dem Titel „Letzte Ausfahrt“ mit knapp 40-jähriger Verspätung veröffentlicht wird. Jim Rakete, der damals Manager der Band war, hatte Wondratschek davon überzeugt, dass die Welt diese 12 Stücke endlich zu Gehör bekommen sollte. „Letzte Ausfahrt“, benannt nach einem Gedichttitel, erschien nun in einer Auflage von 500 Stück auf Vinyl. Für viel zu teure 70 Euro war es ausschließlich bei Dussmann erhältlich – inzwischen dürften die letzten Exemplare wohl weg sein. Hoffentlich folgt bald eine digitale Version.

Bei der Vorstellung der „Lost Tapes“ auf Radio Eins sagte Rakete, es sei für ihn eine „unglaublich interessante Begebenheit, dass Rhythm and Blues und Lyrik an der Stelle eine Schnittmenge hatten“. Er sieht in der Interzone-Wondratschek-Connection „zwei Sachen auf der Höhe der Zeit“, die sich gegenseitig befeuerten. Wondratschek bestand in der Sendung übrigens dennoch stur darauf, „dass Gedichte aufs Papier gehören“ und „keine Rockband brauchen“.

Was die „Chuck’s Zimmer“-Gedichte betrifft, irrt er zweifellos. Im Gegenteil, diese Texte erwachen mit der einnehmenden Stimme Pudelkos zu neuem Leben. Wer hört, wie sich dessen Gesang etwa in „Liebeslied“ (der einzige Song, der in anderer Version bereits veröffentlicht war, weil Wondratschek ihn damals freigab) zum langsamen ¾-Takt in höchste Höhen schwingt, um dem Sehnen Nachdruck zu verleihen („Ich möcht’ dich wiedersehn“) und wie er seinem tiefsten Innern, vielleicht dem flauen Magen, die Zeilen „Mach dir kaaaa-iiiine Soorgen“ abringt, der erkennt: So viel Soul war selten in der deutschen Musik.

In „R&R Freak“ dagegen findet man den Experimentiergeist der Siebziger auf eine kurze Formel gebracht: „Was soll ein Typ wie du schon machen / als weitermachen“, singt Pudelko da.

Seine Stimme macht insgesamt den Unterschied. Gesungen gelingt es ihm auch, den Macho-Gestus, der in Wondratscheks Texten zeitweise mitschwingt, etwas abzumildern. Musikalisch sind die Stücke konventionelle, aber auch perfekt ausgearbeitete Rock-’n’-Roll-/Bluessongs, die den amerikanischen Vorbildern in nichts nachstehen – ihnen aber auch nichts Neues hinzufügen.

„Letzte Ausfahrt“ ist dennoch eine überfällige Ausgrabung. Sie komplettiert das Werk Heiner Pudelkos, der 1995 mit nur 46 Jahren starb, und sie füllt eine Lücke in der Berliner Popgeschichte, der BRD-Popgeschichte.

Interzone, die später von ihrer Plattenfirma auf NDW getrimmt werden sollten (was natürlich vorne und hinten nicht passte), verfolgten noch zu Beginn der Achtziger sehr konsequent das unabgeschlossene Projekt, dem Rock ’n’ Roll die deutsche Sprache und der deutschen Sprache den Rock ’n’ Roll nahezubringen. Mit Erfolg.

Interzone: „Letzte Ausfahrt“ (kein Label/Jim Rakete)