Heribert Prantl verlässt die SZ: Haters gonna hate

Heribert Prantl hört als Meinungschef und Mitglied der Chefredaktion bei der „Süddeutschen Zeitung“ auf. So könnten seine Abschiedsworte lauten.

Heribert Prantl bei Anne Will im Jahr 2017

Auf Wiedersehen, Herr Prantl Foto: dpa

Als der Prophet Noah seinen legendären Walfischbesuch abstattete, 40 Tage und 40 Nächte durch Dick- und Dünndarm des Seeungeheuers wanderte und das Innenleben des gigantischen Amphibiums als Augenzeuge untersuchen durfte, war er in gewisser Weise auch der erste Journalist. Das Innenleben des mächtigen Wesens betrachten, ohne daran teilzunehmen, an den Organen der Zersetzung vorbeispazieren, ohne von ihnen aufgezehrt zu werden – das versuchen heute einige, wenigen gelingt es.

Viel öfter steckt der Journalist heute in einem Ungetüm, wie es Diodorus Siculus als den Bullen von Sizilien beschreibt: ein gewaltiger mechanischer Apparat, in dem es laufend heißer wird, wobei das Leidgeschrei des inhaftierten oder vielmehr eingebetteten Berichterstatters lediglich als süßer Ochsgesang aus dem Innern dringt, dem Publikum zum gaudium. Solche Ochsen gibt es nicht mehr viele. Ich kann mit einigem Stolz von mir behaupten, noch zu ihnen gehört zu haben.

Wenn das Schiff des Journalismus heute zwischen der Skylla einer obrigkeitsstaatlichen Informationspolitik und der Charybdis vulgären Blog-Geschreibsels navigieren muss, dann muss es das ab heute ohne den Lotsen, vulgo mich, tun, der gleichwohl nicht, wie seinerzeit Bismarck, ganz das Ruder aus der Hand gibt, sondern gelegentlich noch feinjustiert: Mit einer wöchentlichen Kolumne, zahlreichen Gastbeiträgen und plötzlichen Schock-Anrufen in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung wird die „Marke Prantl“ weiter als Schibboleth bzw. Quodlibet eines genuin münchnerischen Zungenschlags weiterleben.

Denn dem Casus Relotius bzw. allen künftig noch folgenden Casus Relotiurom zum Trotz bleibt dies der unique selling point: Von all den armen Heuchteln da draußen kann ich immer noch am besten Latein. Ode­rint, dum metuant, formulierte der Staatsmann und Publizist Caligula dies seinerzeit ähnlich treffend, die jungen Leute sagen heute ganz formlos: haters gonna hate.

Ich war immer Klassenbester

Als Meinungschef der SZ habe ich zahlreiche Kontroversen und Debatten angeregt, an viele davon erinnere ich mich teilweise sogar noch selbst. Peinliche Justizskandale und erschütternde Fehlurteile habe ich mit dem mir eigenen furor poeticus analysiert und zerlegt, dass es nur so eine Pracht (gloria) war: Denn nicht nur in alten Sprachen, auch in Jura war ich immer Klassenbester.

Von all den armen Heuchteln da draußen kann ich immer noch am besten Latein

Außerdem habe ich immer wieder darauf hingewiesen, dass der Kapitalismus nicht nur Vorteile bringt, sondern oft auch Ungerechtigkeit. Dabei hatte die päpstliche Enzyklika Rerum Novarum unter Papst Leo XIII. – übrigens der letzte Papst, dem nach dem Tod alle Organe entnommen wurden, auch Milz und Gedärme –, hatte dieser unfehlbare Beschluss schon 1891 (!) den Kapitalismus auf Mildtätigkeit verpflichtet! Gehalten hat sich daran freilich niemand, und so bedarf es immer wieder süddeutschen Journalisten, die das Geheimnis der katholischen Soziallehre weiterreichen wie Bruno Ganz den Iffland-Ring.

In meine Amtszeit fallen auch viele Karikaturen und Gedichte, die ich gern verhindert hätte, aber leider war ich zu den entsprechenden Zeiten immer auf Mallorca. Deswegen ergeht an meinen geschätzten Nachfolger hiermit der alte Lernspruch, den schon unsere Griechischlehrer vor jeder Stunde aufsagte: chairete o mathetai, wörtlich: Die Todgeweihten grüßen dich! Wenn es mir aber gelingt, aus dieser hohlen Gasse gelegentlich noch zurückzugrüßen, dann war mein langer Leidens- und Kreuzigungsweg, samt Schweißtuchfälschung in ­Sachen Voßkuhle, nicht ganz umsonst (frustra).

Herzlichst, Ihr Heribert Prantl

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