Ästhetik des Untergrunds

Eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie würdigt Berliner U-Bahnhof-Architektur

U-Bahn-­Symbol, am U-Bahnhof Schloßstraße, 1974 Foto: Landesarchiv Berlin

Von Claudius Prößer

Als ich noch zur Uni ging, es ist schon eine Weile her, gab es diesen Kommilitonen, der manchmal ein münzgroßes dotterfarbiges Keramikplättchen aus dem Geldbeutel zog und fragte, was das sei. Ich rätselte lange, bis er das Mysterium irgendwann triumphierend auflöste: Es war ein winziges Stückchen, quasi ein Pixel, aus der Wandverkleidung des U-Bahnhofs Adenauerplatz. Zigtausende davon ergaben zusammen eine rasterartige sattgelbe Oberfläche.

U-Bahnhof-Architektur 1935–1994 Die Berlinische Galerie würdigt in einer neuen Dauerausstellung eine Nische der Kunstgeschichte. 60 Exponate thematisieren die formale Vielfalt der Berliner Untergrund-­Architektur – und ihr „Potenzial als kulturelle Identifikationsorte“, wie es im Text zur Ausstellung heißt.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 20. Mai. Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124–128, Kreuzberg. Mi. bis Mo., 10–18 Uhr. (taz)

Nicht alle U-Bahn-NutzerInnen sind so fasziniert von den gestalterischen Elementen der Stationen, durch die sie Tag für Tag rollen. Dabei ist die Ästhetik von Untergrundbahnhöfen eine spannende und ergiebige Nische der Kunstgeschichte. Man denke nur an die unterirdischen säkularen U-Bahn-Kathedralen von Moskau. Auch in Berlin gibt es unter Straßenniveau viel Gestalterisches zu entdecken: Ausschnitte zeigt bis Ende Mai die Ausstellung „Underground Architecture“ in der Berlinischen Galerie in der Alten Jakobstraße.

Wohlgemerkt: Es geht ausschließlich um Design. Wer sich angesichts des Titels Erkenntnisse über die funktionale oder gar technische Entwicklung von U-Bahnhöfen verspricht, irrt – was aber ja nicht gegen einen Besuch spricht. In drei Räumen werden anhand vieler Entwurfsskizzen und Fotos die wechselnden Paradigmen verdeutlicht, unter denen die Bahnhöfe in Ost und West seit 1953 gestaltet wurden.

U-Bahnhof Schloßstraße, 1974 Foto: Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte/Berlinische Galerie

Im Osten blieb man die ganze Zeit bei einem nüchternen Stil mit farbigen Kacheln, nur die einzige neu erbaute Station unter der Erde, der Bahnhof Tierpark auf der U5, bekam ein paar stilisierte Zootiere als Schmuck. Dagegen begann der Westteil spätestens nach 1961 zu experimentieren: Die Gestaltung der meisten nach 1966 entstandenen Bahnhöfe geht auf das Konto von Rainer G. Rümmler, dem Architekten der Bauverwaltung. Bis Ende der Siebziger verlieh er mit Pop-Art-Elementen, Wandverkleidungen aus knallig buntem Kunststoff und Metall, jedem Haltepunkt eine individuelle Prägung. Herausragendes Beispiel: der Bahnhof Fehrbelliner Platz der U7 mitsamt seinen oberirdischen Gebäuden.

Richard-­Wagner- Platz, 2016 Foto: Chris M. Forsyth

Fast schon Respekt einflößend zu sehen ist heute, mit wie viel Handarbeit damals Entwürfe verbunden waren: Die Tusche-Umrisse wurden akribisch mit Buntstift ausgemalt, mittlerweile reichen dafür ein paar Klicks. Mittelpunkt der Ausstellung ist übrigens das einzige plastische Exponat, der „Doppelköpfige Kerberos“ des Künstlers Waldemar Grzimek: eine Metallplastik, die zurzeit aus dem in Sanierung befindlichen U-Bahnhof Rathaus Steglitz ausgelagert ist.

Mein Freund beteuerte übrigens, das Scheibchen an einer kaum einsehbaren Ecke abgepult zu haben. Inzwischen ist er wohl ohnehin rehabilitiert: Der Bahnhof Adenauerplatz wurde 2004 renoviert. Da er damals nicht unter Denkmalschutz stand (wie jetzt 30 der 82 Nachkriegsstationen), landete das ganze schöne Dottergelb auf dem Müll.