Das Blaue vom Himmel

Viktoria 89 wollte mit einem chinesischen Investor in den Profifußball und stürzte in die Insolvenz. Die Rückrunde ist jetzt mit einer neuen Investorengruppe gesichert, in den Profifußball soll es dabei immer noch gehen. Ein Stadionbesuch bei Skeptikern und Provinzträumern

Viktoria-Fanshop beim Spiel gegen Budissa Bautzen am 1. Dezember 2018 Foto: Sebastian Wells

Von Alina Schwermer

Die Atmosphäre hat ein wenig zu viel von Kiezfest bei Viktoria 89, Rückrundenstart im Sonnenschein, ein paar hundert Zuschauer unterwegs. Kinder kicken auf dem Rasen neben der Hauptsportanlage, wackere Vereinsmitglieder grillen, an einer Bude gibt es Currywurst und Kartoffelsalat sowie Süßigkeiten („halal“), und über Dosenwerfen oder einen Stand der freiwilligen Feuerwehr würde man sich nicht wundern.

Der Verein Der FC Viktoria 1889 ist ein Berliner Verein, der im Jahr 2013 aus der Fusion des Traditionsvereins BFC Viktoria 1889 und des LFC Berlin entstanden ist. Der alte Stammverein BFC Viktoria 1889 gehörte vor dem Ersten Weltkrieg zu den deutschen Spitzenvereinen. Er wurde 1908 und 1911 deutscher Meister und stand zwei weitere Male im Endspiel.

Die aktuelle Lage In den vergangenen Jahren ging es mit dem Verein bergauf. Zwischenzeitlich war der BFC Viktoria bis in die Bezirksliga gestürzt; 2013 gelang der Aufstieg in die Regionalliga. Von dort wollte man eigentlich weiter in die Dritte Liga aufsteigen; die geplante Kooperation mit der ASU brachte 2018 bundesweite Schlagzeilen. Im Dezember 2018 musste der Verein Insolvenz anmelden. Die Rückrunde in der Regionalliga soll jetzt durch einen Sponsor gesichert sein. Berühmt ist Viktoria 1889 für die Jugend­arbeit; der Verein hat Deutschlands größte aktive Fußballabteilung mit über 1.600 Mitgliedern.

Die Ersten Mannschaften Die Erste Herren von Viktoria 89 hat wegen der Insolvenz einen Abzug von neun Punkten bekommen. Sie steht aktuell in der viertklassigen Regionalliga Nordost auf dem zehnten Platz. Die Erste Frauen spielt in der drittklassigen Regionalliga Nordost, steht dort auf dem ersten Tabellenplatz und soll in die zweite Bundesliga aufsteigen. (asc)

Viertligist Viktoria 89, der im Dezember Insolvenz anmeldete, darf dank eines anonymen Gönners mit seinen Ersten Herren zumindest die Rückrunde spielen. Dass dieser Provinzklub am Stadion Lichterfelde zur Berliner Nummer drei werden wollte und weiterhin möchte, wirkt an diesem Sonntag etwas absurd. Die Himmelblauen spielen gegen die U23 von Hertha, wohl die Hälfte der Besucher kommt vom Gegner. Hertha-Fans, die ihren Verein mal in Wohnortnähe sehen wollen, Kinder, die die Namen des Hertha-Nachwuchses kreischen, Familienangehörige der Spieler. Das Viktoria-Publikum trägt vielfach die Vereinsjacke oder hat ein Kind in der Jugendabteilung, klassische Fans gibt es kaum.

„Es ist ein bisschen wenig, was hier ankommt“, sagt der ältere Herr abseits an einem Tisch trocken. „Die anderen Teams bringen oft mehr Leute mit.“ Er ist Mitglied bei Viktoria und in einer Altherrenmannschaft aktiv; von der Insolvenz weiß er in etwa das, was jeder weiß. Ende Mai 2018 verkündete der Verein, der chinesische Investor ASU wolle mit einem langfristigen Engagement einsteigen. Viktoria 89 solle in den Profifußball hoch und zur Nummer drei hinter Hertha und Union werden. Fast einstimmig wurde von den Mitgliedern die Ausgliederung der Ersten Herren beschlossen, teure Ex-Profis wurden für den Aufstieg verpflichtet. Schon damals wirkte das Ganze sehr schräg. Ob den chinesischen Investoren wirklich klar war, wie mittelmäßig die Bedingungen beim Berliner Viertligisten waren? Die Träumerei platzte schnell: Im Dezember meldete Viktoria Insolvenz an. Die ASU habe „vereinbarte Zahlungen nicht geleistet“, so Viktorias Darstellung, und lehne – angeblich ohne triftige Gründe – zukünftige Zahlungen ab.

Viktorias Träume von Größe sind schon viel älter als der Deal mit der ASU

Naivität wollen sich die Mitglieder trotzdem nicht nachsagen lassen. „Es ist schon komisch, wenn jemand plötzlich kommt und mit Geld winkt“, sagt der, der bei Viktoria kickt. „Aber es gab ja Leute mit juristischen Kenntnissen hier.“ Und was solle man denn sonst tun? „Unsere Beiträge reichen ja überhaupt nicht aus für den Spielbetrieb. Der Sport lebt von Investoren, anders ist es nicht zu tragen.“ Auch er habe für die Ausgliederung gestimmt. „Dass der Investor die Zahlungen einstellt, damit hätte keiner gerechnet.“ Die Pläne zur Nummer drei findet er trotzdem so oder so unrealistisch. Weil kaum jemand kommt und das Stadion zu klein ist. Ein anderes Mitglied, bei jedem Heimspiel im Stadion, ist optimistischer. „Die ganzen Versprechen, die gemacht wurden, und dann null“, sagt er über die ASU. „Das hätte ich nicht für möglich gehalten.“ Einen neuen Großinvestor will er trotzdem. Man brauche eben „jemand Seriösen“. Und Nummer drei in Berlin werden, warum nicht, Viktoria sei doch ein großer Verein mit toller Nachwuchsarbeit. „In drei Jahren könnte es so weit sein.“ Wenn nur die ASU schuld sein soll, lässt sich weiter träumen. Viktorias Träume von Größe sind schon viel älter als der Deal mit der ASU. Spätestens im Jahr 2013, als der alte BFC Viktoria mit dem Lichterfelder FC fusio­niert und die größte Jugendabteilung Deutschlands bildet, soll es auf den mythischen dritten Platz hinter Hertha und Union gehen. Aber in den vergangenen fünf Jahren hat sich bei Viktorias Herrenteam kaum etwas bewegt. Der Verein spielt unverändert in der Regionalliga, verschliss acht Trainer in fünf Jahren, warf viel Geld für teure Spieler aus höheren Ligen raus und spielte oft trotzdem gegen den Abstieg. Dass jetzt die Insolvenz kam, lässt sich auf die Chinesen schieben, liegt aber zu einem guten Teil am eigenen Management; die Geldsorgen gab es schon vorher. Und die strukturellen Probleme sowieso. Der Zuschauerzuspruch hat sich seit 2013/14 fast halbiert, das Image blieb austauschbar.

ASU-Vorstand Alex Zheng und Viktoria-Geschäftsführer Felix Sommer im Mai 2018 Foto: Viktoria 1889

Und natürlich bräuchte ein künftiger Großklub Viktoria ein neues Stadion. Eine plausible Lösung dafür hatten die Verantwortlichen nie. Trotzdem soll auch die neue Investorengruppe den Klub in den Profifußball führen, so deutete es kürzlich der Insolvenzverwalter an. Offensichtlich geht man davon aus, wenn Viktoria einmal aufgestiegen sei, würden sich die anderen Probleme schon irgendwie lösen. Vielleicht täten sie es teilweise sogar, Erfolg macht sexy. Aber die viertklassige Regionalliga, ein Ort, wo fast alle Vereine irre Summen auf die Zukunft und den einzigen Aufstiegsplatz wetten, lässt solche Pläne für alle außer dem glücklichen einen Provinzträume bleiben. Nach neun Punkten Abzug wegen des Insolvenzverfahrens wird Viktoria auch dieses Jahr nicht aufsteigen; vor allem geht es darum, die Liga zu halten. Immerhin: Das Auftaktspiel gegen enttäuschende Herthaner gewinnt der Klub mit teils ansehnlichen Offensivkombinationen mit 1:0.

Das Publikum hat seinen eigenen Spaß. Kinder singen wahlweise für Hertha oder Viktoria, eine Gruppe von vielleicht zehn Fans feuert unverdrossen an. Ein Pärchen entpuppt sich als Briten, die aus Bristol gekommen sind, um deutschen Amateurfußball zu sehen. Ganz toll sei das hier, versichern sie. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass kommerzmüde Briten zu Viktoria gehen, einem Klub, der sich gerade erst einem chinesischen Investor ausgeliefert hat. Zwei andere Gäste, ein paarmal im Jahr bei Viktoria, sehen die Abhängigkeit von einem Geldgeber kritisch. „Lieber zehn kleine Investoren als ein großer“, sagt der eine. „Wenn du zehn Kleine hast und dann neun abspringen, ist immer noch einer da.“ Wo die zehn kleinen Geldgeber für Viktoria in einer Stadt wie Berlin herkommen sollen, wissen die beiden allerdings auch nicht. Viel Existenzangst haben sie trotzdem nicht. „Es findet sich immer irgendjemand, der einspringt“, findet der eine gelassen. Zumindest für diese Rückrunde stimmt das offenbar. Und der Viktoria 89 kann seinem Publikum und sich selbst wieder das Blaue vom Himmel versprechen.