Kommentar SPD und Grundrente: Das Schlimmste verhindern

Bei aller Kritik: Die SPD leistet in der Großen Koalition gerade erstaunlich gute Arbeit. Helfen wird ihr das nicht, ein Lob hat sie trotzdem verdient.

Hubertus Heil im Zwilicht

Richtig machen kann Hubertus Heil, kann die SPD nicht viel, das Schlimmste verhindern aber schon Foto: dpa

„Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß.“ Dieser Satz, der die Lage der SPD wunderbar prägnant beschreibt, wird dem Ex-Fußballer Andreas Brehme zugeschrieben. Was die regierenden Sozialdemokraten auch tun, nie ist es richtig. Diskutieren sie, sich von Hartz IV zu verabschieden, werfen ihnen Linke vor, die umstrittenen Gesetze schließlich erfunden zu haben, während Wirtschaftsliberale spotten, die SPD stehe nicht zu eigenen Erfolgen.

Der Niedergang der Sozialdemokraten scheint unaufhaltsam. Das historisch niedrige 20,5-Prozent-Ergebnis, das Martin Schulz bei der letzten Bundestagswahl einfuhr, darf aus heutiger Sicht als solider Erfolg gelten. In Bayern lagen die Sozialdemokraten neulich in einer Umfrage nur noch knapp über der 5-Prozent-Hürde. Willy Brandt lobte seine SPD mal als „Partei des donnernden Sowohl-als-auch“. Doch konsensverliebte, staatstragende und langweilige Vorsicht ist in Zeiten zersplitterter Milieus und polarisierter Debatten ein Auslaufmodell.

Bei aller (berechtigten) Kritik an der SPD geht manchmal unter, dass sie in der Großen Koalition im Moment erstaunlich gute Arbeit leistet. Sie führt vor, wie wichtig eine gemäßigt linke Partei ist, die Regierungsverantwortung nicht scheut.

Die Grundrente, die Sozialminister Hubertus Heil vorschlägt, ist sicher nicht perfekt. Aber sie wäre ein spürbarer Schritt, um Altersarmut zu bekämpfen. Sie käme vor allem Frauen und Niedrigverdienern zu gute. Und sie birgt eine innere Logik: Kein Mensch versteht, warum Leute, die ihr Leben lang gearbeitet haben, im Alter in die Grundsicherung fallen sollen.

Die SPD rückt gerade nach links

Ob es die Grundrente, die Hartz-IV-Debatte oder die Forderung nach einem Mindestlohn von 12 Euro ist: Die SPD rückt gerade nach links. Zaghaft, unentschlossen und widersprüchlich, wie es ihre Art ist, aber die Richtung stimmt. Und führende Sozialdemokraten haben erkannt, dass sie die SPD jenseits der Regierungslogik profilieren müssen, damit sie eine Überlebenschance hat. Sie stellen gerade an einigen Punkten scharf, was sie von der Union unterscheidet.

Heil geht zum Beispiel mit seinem Vorstoß bewusst über die Verabredung im Koalitionsvertrag hinaus. Der Protest der Union ist eingepreist – und willkommene PR. Und ein Mindestlohn von 12 Euro, den inzwischen alle SPDler fordern, wenn sie an einem Mikrophon vorbeikommen, wäre mit der Union nicht zu machen. Gut, dass die SPD das Thema trotzdem hochzieht. Sollen doch Union und FDP argumentieren, warum sie eine Lohnuntergrenze fair finden, die ein Leben mit Familie in einer Großstadt faktisch unbezahlbar macht.

Selbst der staubtrockene Olaf Scholz macht gerade eine Politik, die das Schlimmste verhindert. Er stemmt sich beharrlich gegen die Idee der Union, den Soli auch für die absoluten Topverdiener abzuschaffen, was zehn Milliarden Euro im Jahr kosten würde. Mal warnt er vor der abflauenden Konjunktur, mal bringt er eine leichte Erhöhung des Spitzensteuersatzes ins Spiel. Alles auch mit dem Ziel, ein Steuergeschenk an die Reichsten zu verhindern. Über ein solches ließe sich im nächsten Wahlkampf trefflich streiten.

Helfen wird der SPD all das vermutlich nicht. Ihr Personal strahlt nicht, der Frust über die müde wirkende Große Koalition überdeckt alles, die Erfolge gehen in der Kärrnerarbeit des Regierens unter. Aber klar ist auch: Für ihre jüngsten Projekte hat die SPD ein Lob verdient. Und Kritiker, die ihr gerne Verrat an linken Werten vorwerfen, sollten sich einen Moment lang fragen, wie reale Politik im Jahr 2019 ohne die SPD aussähe.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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