berliner szenen
: Vom Scheitern kommen

Im Nachhinein war es ein bisschen komisch, dass die meiste Zeit „Mein Leben als Tennisroman“ auf dem Nachttisch gelegen hatte. Eine Schwester hatte jedenfalls komisch geguckt. Dabei war es Zufall, dass ich den Roman von Andreas Merkel mitgenommen hatte. Ich hatte die anderen Bücher schon ausgelesen, wollte vielleicht was über das Buch ­schreiben und hatte mir vorgestellt, mich Notizen machend im Krankenhausbett stabiler zu fühlen. Vor Merkel hatte ich „Arbeit und Struktur“ gelesen und dachte an den Satz, Gehirntumor sei der Mercedes unter den Krankheiten und Prostatakrebs nur ein Gebrauchtwagen.

Ich hatte aber keinen Prostatakrebs und war auch nicht in der Chirurgie, sondern in der Gastroenterologie. Gas­troenterologie ist ein schönes Wort, wie Eschatologie, Fundamentalontologie, Banana Yoshimoto oder Andreaskrise. Und Merkel ist Torwart der Autorennationalmannschaft. Hinter seinem Tor hatte oft eine rote Beatbox gestanden, und danach hatten wir bei Ralle Bier getrunken und geraucht und uns über Rainald Goetz unterhalten. Er ist Knausgårdfan, und sein Tumblr-Blog war so schön in der Jetztzeit gewesen, und einmal hatte er auch beinahe den Bachmann-Preis gewonnen. Sein erster Roman hieß „Große Ferien“. Auf der Station war es auch ein bisschen wie in den Ferien. Ich fühlte mich wohl als Patient unter Patienten und wunderte mich, wenn Freunde besorgt waren.

Der Ich-Erzähler in „Mein Leben als Tennisroman“ ist Schriftsteller, irgendwann berichtet er, was seine Lektorin ihm geschrieben hat: „Ich käme vom Scheitern. Für mich ginge Roman nur noch als Romanscheitern. Und genau das würde ich eben mit dem, wie ich schreibe, wenn ich versuche, einen Roman zu schreiben, transparent machen.“ Erst jetzt fällt mir auf, dass das früher mein journalistisches Credo gewesen war. Detlef Kuhlbrodt