So viel Kritik muss sein: Teresa Wolny über „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ am Theater Bremen
: Gefangen in der verzweifelten Vergangenheit

Großartig gespielt: Verena Reichhardt als medikamentenabhängige „Mary“ Foto: Jörg Lansberg/Theater Bremen

Wie ein Gemälde wirkt die Bühne in „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ im kleinen Haus des Bremer Theaters. Vier Figuren in zeitlos grellbunten Kostümen stehen vor und zwischen creme-orangefarbener Blümchentapete. Felix Rothenhäuser inszeniert das Stück des amerikanischen Dramatikers Eugene O’Neill ohne viel physische Bewegung und mit starkem Fokus auf den Dialogen der vierköpfigen Familie Tyrone, die sich um Hauke Heumann in der zentralen Rolle des Sohnes Edmund drehen. Denn der ist krank. Der Arzt hat Schwindsucht diagnostiziert. „Nur eine Sommergrippe“, redet sich dagegen Edmunds Mutter Mary ein.

Auch Siegfried W. Maschek als Vater James und Alexander Swoboda als Bruder Jamie, beide Schauspieler, der erste knauserig, der zweite erfolglos, sorgen sich um Edmund. Im Verlaufe eines einzigen Tages brechen bei allen Familienmitgliedern alte Wunden auf: beim Vater James die prekäre Kindheit, beim Bruder der Alkoholismus. Die medikamentenabhängige Mary, großartig gespielt von Verena Reichhardt, stellt im fahrigen Rausch ihre Ehe und ihre Familie infrage. Die Augen hinter der großen Brille und das unruhige Hin-und-her-Stromern sind so eindringlich, dass ihre Worte lediglich wie das Echo ihrer Bewegungen scheinen. „Wonach suche ich bloß? Etwas, das ich schmerzlich vermisse.“ Der kranke Edmund ist mit dem Vorwurf konfrontiert, dass seine Geburt der Ausgang allen Übels war, und wäre auch deswegen lieber eine Möwe oder ein Fisch statt ein Mensch.

Die Figuren sind im Bühnenbild genauso gefangen wie in ihrer verzweifelten Vergangenheit. Das kastenförmige Zimmer, entworfen von Katharina Pia Schütz, hat keinen Hinterausgang, ein Abgehen gibt es nicht. Alle sind immer anwesend, außer Mary wirken die Figuren oft wie am Boden festgenagelt. Äußerlich langsam und mitunter fast träge wirkend, schreien sich unter dieser mühsam mit Worten gebändigten Oberfläche alle die Seele aus dem Leib.

Die gesamte Inszenierung wird von Matthias Krieg mit Sound- und Musikeinlagen begleitet. Immer passend und nie aufdringlich untermalen diese die Dialoge, deren unerträgliche Verzweiflung dadurch noch einmal gesteigert wird. Die Unruhe wabert nach vorne bis ins Publikum hinein. Alles in dieser Inszenierung ist fragil, nirgendwo gibt es Halt. Liebe und Hass sind die alles dominierenden Pole. Schließlich spricht Jamie gegenüber seinem Bruder das aus, was zu erklären scheint, warum Familie Tyrone trotz aller Verzweiflung zumindest noch nicht auseinandergebrochen ist: „Meine Liebe zu dir ist größer als mein Hass.“