wortwechsel
: Unsere tägliche Demo
gib uns heute

Protestieren = demonstrieren? Demonstrieren = obsolet? Oder liegt wieder „Hoffnung in der Luft“? Demos greifen an und machen sich angreifbar – die Frage der Gewalt polarisiert

Im Jahr 2019: „Wir haben es satt!“ Demo für vergessene Schweine und eine nachhaltige Landwirtschaft Foto: Karsten Thielker

Hoffnung in der Luft

„Mehr Ermutigung als große Agrarwende“, taz vom 21. 1. 19

Circa 35.000 Menschen machen sich auf einen teils beschwerlichen Weg nach Berlin, um den Politikern und der Welt zu sagen, dass wir dringendst einen ökologischen Wandel brauchen. „Die Demo – ein Ritual, was nichts bringt“ – das ist die Botschaft Ihres Artikels. Ja, wenn wir so wenig Unterstützung wie von Ihnen erfahren – dann wird das wohl nichts mit der Weltrettung! Schade. Und wo ist Ihre Alternative? Als ich mit den Menschen vor dem Brandenburger Tor stand, lag Hoffnung in der Luft. Wilhelm Kraus, Ebsdorfergrund

„Protestieren in Frankreich ist lebensgefährlich“, taz vom 18. 1. 19

Gefährlich für Polizisten

Abgesehen von der Terminologie (protestieren = demonstrieren?) vermittelt dieser Bericht ein falsches Bild. Keiner der Aufmärsche, über die berichtet wird, war eine angemeldete Demonstration. Begleitet wurden die Aktionen der „gilets jaunes“ von schweren Ausschreitungen aus der Mitte der „Demonstranten“. Wenn Sie als Polizist mit ansehen müssen, wie ein Kollege fast zu Tode getrampelt wird, werden Sie bei Ihrem nächsten Einsatz – vielleicht – weniger Zurückhaltung üben. Das „Gewaltmonopol“ liegt auch bei uns beim Staat. Verstöße müssen geahndet werden. Wer nun meint, die Gelbwesten handelten zu Recht, der vergisst, dass es zu Zeiten der französischen Revolution 1789 nur eine Bastille zu erstürmen gab. Heute gäbe es eine Vielzahl derartiger Bastionen des Kapitalismus, und da wäre das Anstecken des Reichstags nur ein lächerliches Unterfangen. Im Übrigen zeigen die aktuellen Demonstrationen in Frankreich vom 19. Januar, dass es auch friedlich geht, und das ist gut so!

Heinz Mundschau, Aachen

… und die Polizeigewalt?

Findet Ihr es eigentlich nicht peinlich, bislang kein Wort über die ausufernde Polizeigewalt gegen die Gelbwesten verloren zu haben? Guckt niemand bei Euch Arte? Oder sind zivile Protestierende, die sich nicht „Bürgerrechtler“ nennen, irgendwie zweitklassig? Weil auch nicht gegen einen osteuropäischen Potentaten, sondern gegen Macron, ehemals Ikone des Neoliberalismus? Oder liegt’s daran, dass diese Proteste von einer Ökosteuer ausgelöst werden? Erik Zimmermann, Prohn

Bis der TÜV uns scheidet

Paris ist der Vorreiter. Doch auch im Autoland Deutschland regt sich langsam Widerstand. Erste Gelbwesten-Demo in der Autostadt Stuttgart gegen das Diesefahrverbot, gegen das geplante Tempolimit auf den Straßen und gegen die drohenden und drastischen Steuererhöhungen auf Benziner- und Dieselfahrzeuge. Schließlich kann die große Liebe des Mannes zum PS-starken Auto mit Otto- oder Dieselmotor – bis dass der TÜV uns scheidet – nicht einfach durch ein laut- und lebloses, batteriebetriebenes und unattraktives Mini-Auto ersetzt werden. Der deutsche Mann ist nämlich sexuell objektorientiert und erst in zweiter Linie hetero-, homo-, bi- oder transsexuell ausgerichtet. Roland Klose, Bad Fredeburg

Protest und Ohnmacht

„Die menschliche Fackel“, taz vom 17. 1. 19

Danke für die Erinnerung an Jan Palach. Alexandra Mostyn erwähnt auch seine „Nachfolger“ – leider nur mit wenigen Worten und nicht namentlich. Dabei gibt es zumindest für einen von ihnen in Prag nahe der Hochschule für Ökonomie eine kleine Gedächtnisstele. Sie erinnert an Ryszard Siwiec, Mitglied der polnischen Armee (geboren 1909). Er verbrannte sich schon 1968. Jürgen Schön, Köln

Gewalt – nicht von allein

„Gewalt öffnet das Tor zur Hölle“, taz vom 21. 1. 19

Private Gewalt kommt von ganz allein, wenn es dem Staat nicht gelingt, eine faire, stabile Gesellschaft zu garantieren. Fragen, ob Gewalt gegen die AfD gerechtfertigt sei, gehören in den Elfenbeinturm: Natürlich nicht! Gewalt entsteht in dem Moment, in dem die Menschen kein Wasser, kein Essen, kein Heim und keine Aussichten darauf haben. In Spanien und Griechenland war das schon sichtbar. Osteuropäer und Flüchtlinge eint die Hoffnung auf Westeuropa. Wenn wir uns, wie es ausschaut, in eine langfristige Rezession begeben, wird man damit rechnen müssen. Vermutlich sind die Scharmützel Vorbereitungen dafür. In der zerfallenden Sowjetunion sind jene am besten ausgestiegen, die sich frühzeitig paramilitärisch die Ressourcen unter den Nagel reißen konnten. Erik B. auf taz.de

Nationalistische Demos

„Die Seuche des Nationalismus“, taz vom 18. 1. 19

Mehr als Klaus Hillenbrand zur Seuche des Nationalismus in gebündelter taz-Form sagt, braucht es nicht. Analogien zum Rechtsruck im Europa der 1930er Jahre werden wach. Gut daran ist, wir sehen heute die Gefahr. Bevor diese Gefahr nicht gebannt ist, können wir am Ausbau Europas nicht weiterfeilen. Wie schwer der Ausbau fällt, zeigen die Widerstände. Je entfernter der Betrachter vom Experimentierfeld ist, um so absurder erscheint das Theater.

Dabei hofft die Weltgemeinschaft auf einen gelingenden Ausgang des Europa-Experiments – zur Lösung ihrer Probleme. Unsere Vorstellungen können wir international nur noch gebündelt vortragen, nicht mehr als Einzelstimme. Was können einzelne EU-Staaten bewirken, wenn es um Hunger, Armut, Seuchen, Überbevölkerung, Bodenerrosion, Knappheit, Klimawandel oder Nahostquerelen geht?

Doch gewählt wird vor Ort, in England, Griechenland, Belgien, Spanien. Und Staatlichkeit jeder Art wird heute durch die multinationalen Konzerne überwuchert und infrage gestellt. Sie haben kein regulierendes Gegenüber. Sie sind es, die unser Leben nach ihren Regeln verändern. Wollen wir das? Klaus Warzecha, Wiesbaden