Ausgehen und rumstehen Von Jens Uthoff
: Wüstenwind im Teufelskreis

Ladies and Gentlemen, noch 73 Tage bis zum Brexit! Wie sang noch eine Band mit dem nicht ganz unverfänglichen Namen Europe? Richtig, „It’s the final countdown“. Also ein guter Zeitpunkt, um die britische Popkultur noch mal hochleben zu lassen. Am Freitag lud die geschmackssichere David Watts Foundation zu einem Coversong-Bandbattle unter dem Motto „North vs. South Britain 1977 bis 1985“ ins Bi Nuu. Manchester gegen London, Geordie gegen Cockney.

Als ich gegen 22 Uhr eintreffe, spielt die Berliner Psych-Punkband Disgusting Beauty gleich mal die drei absolute Klassiker – „London Calling“ von The Clash, „Anarchy“ von den Sex Pistols und „Ever Fallen in Love“ von den Buzzcocks hintereinanderweg. Und wer glaubt, diese Stücke seien schon zu Tode gecovert worden und man könne mit einem neuerlichen Anlauf nur scheitern, wird eines Besseren belehrt – vor allem dank der Performance von Sänger Silver Cendrey, einem Schlaks mit Tingeltangelbob-Frisur, der auf der Bühne auf und ab springt und sich windet, als gehe es um sein Leben. Und der so signalisiert: Es geht um sein Leben.

Im weiteren Verlauf der Brit-Hommage interpretiert eine Allstar-Group mit Kevin Kuhn (Die Nerven), Andreya Ca­sa­blanca (Gurr) und Max Gruber (Drangsal) den Joy-Divi­sion-Hit „Love Will Tear Us Apart“ in deutscher Sprache – ebenfalls großes (Hör-)Kino. Kevin Kuhn, der Die-Nerven-Schlagzeuger mit dem Wallehaar, gibt in dieser Formation den Sänger, er wiederholt immer wieder leicht schief den Refrain: „Und dann / dann ist Liebe ein Teufelskreis“. Der Song tuckert im Dieter-Thomas-Heck-Tempo vor sich hin – und zack!, ist aus einem düsteren Postpunk-Song ein Schlager geworden. Das Beste kommt, wie es sich gehört, zum Schluss, als Tocotronic-Gitarrist Rick McPhail mit seiner Band Mint Mind unter anderem Billy Braggs „New England“ in einer Version auf die Bühne zaubert, bei der die Ramones vor Neid erblasst wären.

Am Samstag steht Geburtstagsfeierei auf dem Programm. Christian Specht – Berufsdemonstrant, Erfinder der Pappkamera, genialer Dilletan (sic!), gute Seele der taz – lädt zu seinem 50. Geburtstag in die Werkstatt der Kulturen. Leider geht’s schon um 18 Uhr los, und als ich gegen kurz nach acht eintreffe, habe ich schon den offiziellen Teil verpasst. Unter anderem war „Abendschau“-Urgestein Ulli Zelle auf der Bühne, auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat gratuliert. Nun gibt’s – Christians 4/4-Affinität sei Dank – Schlagerdisco mit Helene Fischer, Abba und Marianne Rosenberg und Co. Puh. DJ Ulrich Gutmair legt aber auch fast vergessene Geniestreiche wie Ingo Insterburgs „Ich liebte ein Mädchen“ und Ted Herolds „Ich bin ein Mann“ auf. „Meine Küsse brennen heißer als Wüstenwind“, singt der Mann! Wahnsinn.

Vom Jubilar Christian bekomme ich leider nicht so viel mit am Abend, er wirkt ein bisschen überwältigt. Stattdessen tauschen Kollege Q. und ich in der E-Raucher-Ecke Biografien aus. Q. verdankt einen wesentlichen Teil seiner Sozialisation den Zeltlagern der Neuköllner Falken – und so lerne ich ein bisschen was über die Geschichte des rechtssozialdemokratischen Flügels der Berliner Falken. Basiswissen!

Ich sehe am späten Abend noch ein Konzert der tschechischen Postrock-/Metal-Band Lvmen (das hier sei kurz erwähnt, weil die Band so empfehlenswert ist). Gegen Mitternacht trudele ich nach Hause. Das Wetter: very british.