Irgendwer muss immer den Hut aufhaben

Im Verlag des Weser-Kurier tobt ein erbitterter Streit: Von den zwei Inhaber-Familien, darin sind sich beide einig, darf nur eine überleben. In letzter Minute hat man nun einen Not-Vorstand berufen

Zeitung Foto: ist auch in Bremen Kopfsache Foto: Jaspersen/dpa

Von Klaus Wolschner

Seit Monaten blockiert sich der Aufsichtsrat des Weser-Kurier (WK) bei der Frage, wer ab dem 1. 1. 2019 als Vorstand die Gesellschaft führen soll. Eine Woche bevor das Gericht einen Not-Vorstand hätte einsetzen müssen, haben beide Seiten sich nun geeinigt, zwei leitende Mitarbeiter mit den Posten zusätzlich zu betrauen: Marketing-Chef David Koopmann und Chefredakteur Moritz Döbler.

Da die zwei ausscheidenden Vorstände Eric Dauphin und Jan Leßmann nicht Däumchen gedreht haben, ist die Unternehmensleitung aber kein Nebenjob. Angesichts der Verluste von 2017 (5,1 Millionen Euro) und von 2018 – die hauseigene Prognose erwartet einen ähnlich hohen Betrag – besteht erheblicher Handlungsbedarf. „Sie werden ihr Können unter Beweis stellen müssen“, sagt die Betriebsrätin Ruth Gerbracht trocken. Zudem kritisiert sie die Konstruktion: Chefredaktion und Verlagsleitung in eine Hand zu legen, sei „keine gute Idee“. In keiner Zeitung in Deutschland gibt es so wenig institutionelle Trennung von Verlag und Redaktion.

Im Hintergrund tobt ein erbitterter Streit der beiden historischen Inhaber-Familien Hackmack und Meyer. Worum es dabei abgesehen von persönlichen Unverträglichkeiten geht, wüssten auch viele der Mitarbeiter*innen gern. Die Öffentlichkeit geht das überhaupt nichts an, finden die WK-Besitzer. Bei jedem anderen Unternehmen läge der Ehrgeiz der Redaktion darin, den Führungsstreit transparent zu machen – nichts dergleichen in eigener Sache.

Wie erbittert hinter den Kulissen gestritten wird, wurde diese Woche vorm Landgericht deutlich: Die Familie Hackmack, vertreten durch den früheren Vorstand Ulrich Hackmack, wollte die Anteilseigner der Familie Meyer, vertreten durch Christian Güssow, per einstweiliger Verfügung herausdrängen.

Das Landgericht fand, dass der Streit der Anteilseigner dafür kein ausreichend „wichtiger Grund“ sei. Sie wies aber auch die Retourkutsche von Güssow ab – dass Hackmack die Meyers herausdrängen wollte, reiche nicht als Grund, sich der Hackmacks zu entledigen. Erst nachdem das Gericht es abgelehnt hatte, den Streit zu entscheiden, einigten sich die beiden Parteien, die sich mit jeweils drei Aufsichtsräten gegenseitig blockieren, auf den Kompromiss, zwei hausinterne leitende Mitarbeiter zusätzlich zum Vorstand zu ernennen.

Der Streit der Familien währt nun schon seit Jahren, und er ist nicht dadurch zu entscheiden, dass eine Seite ihre Anteile verkauft – nach der Gesellschaftersatzung hätte die andere Familie ein Vorkaufsrecht. Und der gönnt man ja nichts. Dabei gehen Branchenbeobachter davon aus, dass zum Beispiel der Madsack-Konzern aus Hannover den WK gern schlucken würde, vielleicht auch der Verlag der Oldenburger Nordwest-Zeitung.

Das wird auch in der Redaktion befürchtet. Angesichts der Defizite wäre es für einen größeren Konzern ein Leichtes, das Blatt auf die Lokalredaktion zu schrumpfen und die überregionalen Seiten einzukaufen. Manche fragen sich, ob nicht ein Großverlag durch Übernahme von Defiziten längst seinen Fuß in der Tür hat. Nach dieser Methode hatte der WK in den 1970ern einst selbst die Bremer Nachrichten geschluckt. Insbesondere Chefredakteur Döbler dürfte dieses Ziel indes nicht verfolgen, da er sich so selbst zum Lokalchef degradieren würde.

Durchgesickert ist, dass es sich bei dem Streit auch um die Frage handelt, ob das veraltete Druckhaus grundlegend modernisiert werden soll. Lohnt sich das angesichts sinkender Auflagen? Von 1997 bis 2017 ging die von über 200.000 auf offiziell rund 140.000 verkaufte Auflage zurück. Aber diese Zahl bezieht die verkauften E-Paper-Abos mit ein. Mit seinen Investitionen in die Digitalisierung macht der Weser-Kurier wie auch andere bisher keinen Gewinn. Selbst das Projekt „Mein Werder“ wird intern diskutiert – unter diesem Namen verkauft eine Agentur die Sportberichte in einer App.

Produziert werden die Texte nicht mehr von der WK-Redaktion, sondern von einer anderen Firma. Die redaktionelle Freiheit, ein Loblied auf einen Konkurrenten von Werder zu formulieren, würde sich auch unter der Überschrift „mein Werder“ schlecht machen. „Die Wahrung der redaktionellen Unabhängigkeit, die für den Wert unserer Marken bestimmend ist, steht an oberster Stelle“, formulierte Moritz Döbler in der offiziellen Hausmitteilung zu seiner Übernahme der Verlagsverantwortung.

Ob das Vorstands-Duo Döbler/Koopmann lange hält, ist fraglich. Gegen den WK ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts, Beilage-Kunden mit überhöhten Vertriebszahlen getäuscht zu haben. Verantwortlich: Marketing-Leiter Koopmann. Gescheitert ist ein Versuch der WK-Juristen, der taz die Feststellung zu untersagen, dass dieses Ermittlungsverfahren (AZ 770 Js 3400/18) bei der Staatsanwaltschaft sich auf aktuelle Zahlen bezieht.