Die spannendste Fußnote der US-Geschichte

Donald Trump wollte sein Vize werden, Barack Obama bescheinigt ihm „große Verdienste“: George Bush senior, US-Präsident in einer Zeit globaler Umwälzungen, ist tot. Ein Nachruf

22. November 1990, im Truppenaufmarsch zum Golfkrieg: Das Ehepaar Bush feiert Thanksgiving mit US-amerikanischen und britischen Soldaten in Saudi-Arabien Foto: Rick Wilking/reuters

Von Stefan Schaaf

George Herbert Walker Bush, der in der Nacht zu Samstag mit 94 Jahren in seiner texanischen Heimat gestorben ist, war der letzte US-Präsident, der im Zweiten Weltkrieg als Soldat gedient hat. Er amtierte von 1989 bis 1993 – in der Zeit also, als die Berliner Mauer fiel und die Sowjetunion auseinanderbrach. Als Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte führte Bush Kriege gegen Panamas Militärchef Manuel Noriega und gegen Iraks Diktator Saddam Hussein, beide einstige Verbündete der USA.

Dennoch blieben die vier Jahre seiner Präsidentschaft blass im Vergleich zu der seines Vorgängers Ronald Reagan, dessen loyaler Vize er acht Jahre lang gewesen war. Bush fehlte Reagans Bühnen-Appeal, seine Reden waren hölzern. „Ich konnte das nicht, was Ronald Rea­gan, mein Freund und Vorgänger, vermochte: wirkungsvoll mit den Menschen kommunizieren“, räumte er einmal in einem Interview ein.

Zweimal scheiterte Bush in Texas mit seiner Kandidatur für den Senat in Washington, und auch die republikanischen Vorwahlen 1980 verlor er gegen Reagan. Gerufen hat man ihn, wenn eine Krise jemanden forderte, der die eigene Person weniger wichtig nahm als die jeweilige Institution. Die Republikanische Partei nach der Watergate-Affäre und die CIA nach den Enthüllungen über Mordanschläge und Bespitzelungen dürfen ihm für gelungene Schadensbegrenzung danken.

Bush entstammte einer erfolgreichen Unternehmerfamilie in Connecticut, sein Vater Prescott, ein Wall-Street-Banker, vertrat den Bundesstaat im US-Senat. Er studierte in Yale, wurde dort Mitglied der legendären Studentenverbindung Skull and Bones und ging nach Texas, um in der Ölindustrie Geld zu verdienen. 1964 kandidierte er für den Senat und unterlag. 1966 wurde er ins Repräsentantenhaus gewählt. Nach der zweiten erfolglosen Senatskandidatur berief Richard Nixon ihn 1971 zum Botschafter bei der UNO.

1973 wurde er Vorsitzender der Republikanischen Partei, die gerade im Strudel von Watergate unterging. Trotz Nixons schmutziger Wahlkampftricks blieb Bush lange loyal. Er beschrieb es aber als „politischen Albtraum“, dass er seinen Freund und Mentor Nixon im August 1974 drängen musste, zurückzutreten. Es folgten Stationen als Geschäftsträger der US-Vertretung in Peking, als CIA-Direktor und ab 1981 als Vizepräsident unter Reagan.

Reagan wollte Bush eigentlich nicht als Stellvertreter, wurde aber von der Parteispitze dazu gedrängt. Später lernte er Bush schätzen, spätestens als die zweite Amtszeit Reagans im Iran-Contra-Skandal zu versinken drohte und Bush die ruhige Hand im Weißen Haus wurde.

Dieser Skandal war ein politisches Husarenstück: Reagan hatte sich 1985 darauf eingelassen, unter höchster Geheimhaltung – und zum Teil mit israelischer Beihilfe – Waffen an den Iran zu liefern, wenn dieser im Gegenzug seine schiitischen Verbündeten im Libanon dazu brächte, sieben US-Geiseln freizulassen. Zugleich war Reagan entschlossen, die gegen die herrschenden Sandinisten in Nicaragua kämpfenden „Contras“ gegen den Willen des US-Kongresses weiter zu finanzieren. Einige von Reagans Mitarbeitern – vor allem Sicherheitsberater Poindexter und der schneidige Oberst Oliver North aus dem Stab des Nationalen Sicherheitsrats – kungelten aus, die Einnahmen aus den Iran-Waffenverkäufen an die Contras weiterzuleiten. Reagan hat stets beteuert, davon nichts gewusst zu haben, seine Mitarbeiter verwischten sorgsam ihre Spuren. Aber nicht sorgsam genug: Die Geschichte flog auf.

Bush beteuerte, nichts damit zu tun gehabt zu haben. Später kam heraus, dass das nicht stimmte und er an vielen Treffen dazu teilgenommen hatte. Ein hoher israelischer Geheimdienstler hatte Bush im Juli 1986 in Jerusalem über die Weitergabe US-amerikanischer Luftabwehrraketen an den Iran gebrieft – auch dass die Waffen an „einige der radikalsten Elemente“ gingen. Erinnern wollte sich Bush an jenes Gespräch bei seiner Befragung anderthalb Jahre später nicht. Gleichzeitig begnadigte er Ex-Verteidigungsminister Caspar Weinberger und fünf weitere Beteiligte, bevor sie ihre Strafe antreten mussten. Nach dem Ende seiner Präsidentschaft beantwortete er Fragen nicht mehr.

Weil er jede Kenntnis bestritt, konnte Bush vermeiden, dass die Affäre seiner Karriere schadete. Er gewann im November 1988 die Präsidentschaftswahl gegen Michael Dukakis. Schon wenige Monate später galt das globale Interesse den dramatischen Ereignissen in Osteuropa, wo die Menschen für ihre Freiheit auf die Straße gingen. Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer, das Ende der deutschen Teilung wurde möglich und 1990 friedlich vollzogen. Erst vor wenigen Tagen sagte Barack Obama, Bush habe mit seinem Außenminister James Baker „große Verdienste, das Ende des Kalten Kriegs so gemanagt zu haben, dass nichts aus dem Ruder lief“.

Zugleich war damals eine neue Krise im Nahen Osten ausgebrochen. Nachdem Iraks Diktator Saddam Hussein Anfang August 1990 Kuwait besetzt hatte, fürchtete man in Washington, dass auch Saudi-Arabien angegriffen würde. Die größten Ölfelder des Landes lagen in der Reichweite der irakischen Truppen. Präsident Bush, der noch am 2. August beteuert hatte, „wir reden nicht über eine militärische Intervention“, schickte eine halbe Million US-Soldaten an den Golf und befahl im Januar 1991 nach Verstreichen eines UN-Ultimatums den Angriff. Saddams Truppen wurden geschlagen, aber er blieb an der Macht. Bushs Sohn George W. Bush, der 2001 Präsident wurde, gefiel das nicht – mit all den bekannten Folgen.

Als Reagans zweite Amtszeit im Iran-Contra-Skandal zu versinken drohte, wurde Vizepräsident Bush die ruhige Hand im Weißen Haus. Dann gewann er die Wahlen

Als Bush 1992 zur Wiederwahl antrat und verkündete, eine „gütigere, freundlichere Nation“ schaffen zu wollen, meldete sich ein Geschäftsmann bei ihm und bot sich als Kandidat für die Vizepräsidentschaft an: Donald Trump. Doch Bush empfand das Angebot „seltsam und schwer zu glauben“. Es kam sowieso anders: Bush verlor gegen den Demokraten Bill Clinton.

Erst 2015 äußerte Bush senior sich öffentlich zur Präsidentschaft seines Sohnes George W. Der habe einen großen Fehler gemacht, als er Dick Cheney und Donald Rumsfeld freie Hand ließ. Beide gehörten schon dem Kabinett von Bush senior an, sie hätten sich aber seitdem zu selbstherrlichen Hardlinern gewandelt, „Ärsche aus Eisen“.

„Ich fühle mich wie eine Fußnote“, beschrieb er gegenüber seinem Biografen Jon Meacham seinen Platz in der Geschichte. „Eingeschoben zwischen dem Ruhm Reagans – überall Denkmäler, Trompeten, der große Held – und den Irrungen und Wirrungen meiner Söhne.“

Der Autor war von 1986 bis 1989 taz-Korrespondent in den USA