Keine Platte mehr am Bahnhof

Mit rigorosen Methoden werden Obdachlose durch Polizei und Ordnungsdienst vom Hauptbahnhof vertrieben. Die Innenbehörde bestreitet, dass dies zum neuen „Sicherheitskonzept“ gehört

Obdachloser sitzt im Regen am Bremer Weihnachtsmarkt Foto: Ingo Wagner/dpa

Von Simone Schnase

Mit erhöhter Polizeipräsenz, Überwachungskameras und mehr Licht soll der Bereich um den Hauptbahnhof sicherer werden. Zu diesem Konzept der Innenbehörde gehört auch eine „massive Vertreibungspolitik“ gegenüber Obdachlosen. Das sagt zumindest Markus Urban, der selbst obdachlos ist und von Repressalien und Strafandrohungen berichtet, die in dieser Form am Bahnhof neu seien.

„Es gibt Menschen, die nachts um drei geweckt und einfach weggeschickt werden“, sagt er. Mitgeführte Schlafsäcke würden beschlagnahmt, Zelte ebenso. „Hier werden Leute von ihrer Platte vertrieben.“ Nicht alle Ordnungshüter seien so, sagt er, „manche sind nett und schauen nicht so genau hin“. Aber: „Der Druck steigt: Einigen wurde jetzt gesagt, dass sie ab Januar nicht mehr bloß weggeschickt werden, sondern ein Bußgeld von 20 Euro zahlen müssen. Und wenn sie das nicht könnten, kämen sie halt in Erzwingungshaft.“

Vielen Menschen werde durch die Maßnahmen eine Infrastruktur entzogen, die überlebenswichtig sei: „Am Bahnhof können sie ein bisschen Geld schnorren, sie bekommen dort von Ehrenamtlichen Lebensmittel und Kleidung – die Leute sind doch gar nicht mehr erreichbar, wenn sie in alle möglichen Richtungen vertrieben werden.“ Die Notunterkünfte seien voll, sagt Urban, aber ohnehin auch nicht für jeden geeignet: „Manche wollen nicht in Unterkünfte und manche können dort auch gar nicht hin, weil sie sich beispielsweise nicht ausweisen können.“

Jonas Pot D’Or, Streetworker der Wohnungslosenhilfe „Innere Mission“, bestätigt Urbans Vorwürfe: „In der Tat ist es zu einigen Merkwürdigkeiten gekommen“, sagt er. Ihm sei aber nicht bekannt, ob Polizei und Ordnungsdienst auf Weisung oder eigenmächtig handelten. Natürlich müssten Dinge wie Belästigung, Bedrohung, das Urinieren oder das Campieren in der Öffentlichkeit geahndet werden, aber offenbar gehe es hier auch um Menschen, die sich friedlich und unauffällig verhielten. „Diejenigen, die sich bemühen, fallen hinten runter – das kann nicht sein“, findet er. Und das sei seines Wissens vom Innenressort auch nicht vorgesehen.

Im Interesse eines vernünftigen Sicherheitskonzepts, sagt Pot D’Or, müssten Innen- und Sozialressort gemeinsam mit der Inneren Mission einen Weg finden: „Und dabei muss die Toleranz gegenüber Obdachlosen aufrecht erhalten werden.“ Er fordert „Toleranzräume“, wo Obdachlose geduldet werden, ohne Gefahr zu laufen, mitten in der Nacht vertrieben zu werden: „Es muss erst einmal klar sein, wo sie hin können, bevor man sie vertreibt.“ Ein Konzept mit Alternativen hänge aber hinter der Umsetzung des Sicherheitskonzepts „weit hinterher“.

David Lukaßen, Sprecher der Sozialbehörde, bestätigt, dass es keine Alternativen gibt – zumindest nicht draußen: „Staatlich ausgewiesene Schlafplätze im Freien wird es natürlich niemals geben, aber Toleranzräume würden wir auf jeden Fall befürworten“, sagt er. Eine Stadtgesellschaft müsse solche Räume haben, „und wir versuchen, sie zu ermöglichen“. Es gebe einen regelmäßigen Austausch, dort, wo sich die Schnittstellen befinden. „Dort versuchen wir, zusammenzukommen“, sagt Lukaßen.

„Ein Konzept kann natürlich nur klappen, wenn sich die Polizei auch daran hält“

Bertold Reetz, Leiter der „Inneren Mission“

Das bestätigt Bertold Reetz, Leiter der Inneren Mission: „Wir werden in diesen Austausch immer mit einbezogen und sagen auch deutlich, dass es Plätze geben muss, wo die Menschen nicht vertrieben werden.“ Am Bahnhof werde künftig ein Unterstand mit Kaffee und einer Toilette angeboten. Streetworker seien als Ansprechpartner vor Ort, der Tagestreff „Café Papagei“ und die Drogenberatungsstelle „Comeback“ in unmittelbarer Nähe.

Er hoffe, sagt Reetz, dass es sich bei den geschilderten Vorkommnissen „um ein Kommunikationsproblem handelt“. Denn er selbst habe den Eindruck, dass die Zusammenarbeit mit dem Leiter des Projekts „Sichere und saubere Stadt“ gut und konstruktiv sei. „Aber ein Konzept kann natürlich nur klappen, wenn sich die Polizei auch daran hält.“

Daran scheint nun gearbeitet zu werden. Auf Nachfrage sagt Rose Gerdts-Schiffler, Sprecherin der Innenbehörde: „Grundsätzlich ist es nicht verboten, auf der Straße zu übernachten und somit wird dafür auch kein Ordnungsgeld verhängt.“ Eine Ansprache mit dem Hinweis auf Hilfseinrichtungen sei gewünscht, damit jene, „die Anspruch auf Hilfeleistungen haben, nicht in der Öffentlichkeit übernachten müssen“. Die Polizei erarbeite zusammen mit dem Ordnungsamt gegenwärtig Leitlinien, „damit alle Einsatzkräfte gleichermaßen den Personen gegenübertreten“.