Ein globaler Plan für die Migration

Von Christian Jakob

Alle Länder der Welt hatten sich geeinigt, mit Ausnahme der US-Regierung von Donald Trump. Wer sich daran erinnert, wie unendlich schwierig ein solcher globaler Konsens etwa beim Klimaschutz war und ist, der mag eine Ahnung davon bekommen, welche diplomatische Leistung hinter dem UN-Pakt für das Epochenthema Migration steht.

Diese sei „schon immer Teil der Menschheitsgeschichte“, heißt es in der Präambel des Pakts. Doch ein globales Regelwerk für sie fehlt – bis heute.

Auf etwa 260 Millionen schätzt die UN die Zahl der Menschen, die 2017 als MigrantInnen nicht in dem Land leben, in dem sie geboren sind. Diese Zahl wird in Zukunft weiter wachsen. Um für die Migration ein internationales Regelwerk zu schaffen, haben die UN seit 2016 den Global Compact erarbeitet. Medien oder die Öffentlichkeit haben daran kein größeres Interesse gezeigt. Das hat sich nun geändert. Bis auf die USA wollten alle UN-Mitglieder dem Pakt zustimmen. Im Juli scherte Ungarn aus, seitdem sind weitere Staaten hinzugekommen.

Vor der Konferenz am 10. und 11. Dezember im marokkanischen Marrakesch, auf der jener „Globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ von den verbleibenden etwa 180 UN-Mitgliedsländern verabschiedet werden soll, nutzen populistische Kräfte in vielen Ländern den Pakt zur politischen Mobilisierung.

Die Bundesregierung verteidigt das Abkommen unterdessen, weil es ein wichtiges Instrument sei, um globale Probleme zu lösen.

Denn auch für die MigrantInnen selbst soll der Migrationspakt eine Reihe von existenziellen Erleichterungen bringen: So sollen sie weniger dafür bezahlen müssen, Geld an ihre Familien im Herkunftsland zu überweisen; auch die Ausbeutung bei Arbeit im Ausland, etwa durch hohe Vermittlungsgebühren, soll erschwert werden, und MigrantInnen sollen ihre Angehörigen leichter nachholen können.

Auch die im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen sollen leichter anerkannt werden, und bei einer Rückkehr sollen bereits bezahlte Sozialversicherungsbeiträge übertragen oder ausgezahlt werden können.

Doch selbst Teile der CDU wollen den Pakt kippen – und die AfD will damit ihren EU-Wahlkampf betreiben. Zum Inhalt des Migrationspaktes hat sie vollkommen falsche Behauptungen und Verschwörungstheorien in die Welt gesetzt.

Die taz hat WissenschaftlerInnen und andere Fachleute um ihre Einschätzung des Pakts und der kursierenden Behauptungen gebeten. Wir dokumentieren diese im Folgenden in Auszügen.

Auf taz.de/Migrationspakt finden Sie die aus­führlichen Kommentare, zusammen mit einer Verlinkung auf den vollständigen Text des „Global Compact of Migration“

Die Staaten bleiben souverän

Kritiker behaupten, der Pakt räume Migranten weitgehende Rechte zur Migration ein und beseitige das Recht souveräner Staaten, Migrationsfragen selbst zu regeln. Das ist Unsinn.

Der Pakt war eine Reaktion auf die starke Zuwanderung 2015 und 2016 nach Europa, denen gegenüber Staaten mehr oder weniger hilflos waren. (…) An keiner Stelle aber greift der Pakt in das Recht von Staaten ein, zu bestimmen, wem sie Zugang gewähren. (…) Nüchtern betrachtet bietet der Pakt also keinen Anlass für Verschwörungstheorien. Die Regierungen sollten den Pakt unterzeichnen, weil er die Chance bietet, eine nachhaltige Migrationspolitik zu verfolgen. (…) Mit dem gebotenen Nachdruck wird das Abkommen die Handlungsfähigkeit der Staaten verstärken und dazu beitragen, dass Migration künftig sicherer, geordneter stattfindet. Schließlich sind praktische Erfolge bei der Reduzierung der irregulären Wanderung und bei der Nutzung der Entwicklungspotenziale der beste Weg, den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Steffen Angenendt leitet die Forschungs­gruppe Globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Zum Schutzder Rechte

Der Pakt für Migration ist ein Kooperationsrahmen. Er schafft ein globales Regelwerk zur Migration, in dem die unterschiedlichen Interessen von Herkunfts-, Transit- und Aufnahmestaaten zusammenkommen – bei der Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeiter und ihrer Familienangehörigen (von 1990, in Kraft 2003) war dies nicht gelungen.

Der Migrationspakt ist somit als diplomatischer Erfolg anzusehen. Denn einzelne Staaten können ein grenzüberschreitendes Phänomen nicht allein regeln. Inhaltlich regelt der Pakt die Rechte, den Schutz der Lebens- und Arbeitsbedingungen; die Bekämpfung von Menschenhandel, von Ausbeutung und Diskriminierung der Migrantinnen und Migranten, die Bekämpfung negativer Migrationsursachen, die Sicherung von Grenzen und den Austausch von Information. In vielen Fällen bestärkt der Pakt bereits vorhandene Normen und Rechte.

Petra Bendel ist Professorin für Politische Wissenschaft an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg und u. a. Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.

Eine Quelle des Wohlstands

KritikerInnen behaupten, der Compact idealisiere Migration und verharmlose Probleme. Doch die darin enthaltene Formulierung, Migration sei eine „Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung“, ist kein Wunschbild, sondern eine treffende Zustandsbeschreibung. Souveränität und die Rule of Law werden hochgehalten, aber zu Kooperation ermuntert, der Entwicklungsaspekt betont, ebenso die Rechte von besonders gefährdeten Gruppen. (…) Die Ausbeutung durch unethische Rekrutierungsagenturen, die Menschen zur Arbeit in anderen Ländern anwerben, ist ein weit verbreitetes Problem bei der sogenannten Süd-Süd-Migration.

Der Pakt bietet wichtige Maßnahmen, die Erpressung, Ausbeutung und Sklaverei eindämmen helfen. (…) Der Pakt ist nicht bindend, bietet aber einen guten Anstoß, essenzielle Punkte zu reflektieren. Er stellt somit einen soliden Rahmen dar für den Anfang eines Prozesses.

Stefan Rother ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen der Universität Freiburg und Sprecher des AK Migrationspolitik in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft.

Die Frageder Mobilität

Auch wenn die USA nicht mehr dabei waren – ihr Kernpunkt fand sich in den Positionen vieler Staaten wieder: die Betonung des Rechts jedes Staates, souverän zu bestimmen, wer einreisen darf und wer nicht. Diese Länder lehnten es ab, das Recht auf Mobilität aller Menschen uneingeschränkt anzuerkennen. Sie bestanden darauf, den Aufenthalt von Ausländern in ihrem Land gemäß den Erfordernissen ihrer Wirtschaft zu kontrollieren.

Einige Staaten wollten mit dem Global Compact vor allem gegen irreguläre Migration und den Menschenhandel vorgehen. Andere Staaten aber wollten damit legale Wege für die Migration ihrer Bürger schaffen. Einige Delegationen forderten gar, dass er das Visa-Regime beendet, das das Recht auf Mobilität ihrer Bevölkerungen blockiert; denn selbst viele der offiziellen afrikanischen Delegationen konnten nicht an der Konsultation in Mexiko teilnehmen, da sie für den Umstieg auf einem Airport in den USA kein Visum erhielten.

Samir Abi ist Leiter des West African Observatory on Migration in Lomé. Als Vertreter der afrikanischen Zivilgesellschaft hat er an den UN-Verhandlungen teilgenommen.

Die Kraft der Wanderung

Der Pakt ist das erste weltumspannende Gemeinschaftsprodukt des UNHCR und der IOM. Während der UNHCR dem völkerrechtlichen Schutzauftrag von Flüchtlingen entstammt, kommt die IOM aus einer zwischenstaatlichen Initiative, die sich zum Hauptakteur der Abschottung entwickelt hat. Ziel des Pakts ist es, die „wilde“ Kollektivkraft der Migration beherrschbar zu machen.

Die Migration ist wohl die wirkungsmächtigste Kraft sozialer Veränderung, aber es handelt sich um eine kollektive Aktion ohne Kollektive. Selbst die aktuellen Märsche auf den Flüchtlingskorridoren lassen sich wegen ihrer schwachen Organisation kaum mit bekannten sozialen Bewegungen vergleichen. Es gibt keine Protagonisten der Migration, die einen Globalen Pakt mit den Staaten weltweit aushandeln könnten. Es wäre überaus wünschenswert, wenn Menschenrechte – einklagbar – an den Grenzen der Nationalstaaten Einzug erhielten. Aber im Unterschied zur Erklärung der Menschenrechte sind im Pakt die Daumenschrauben gleich mit aufgeführt.

Helmut Dietrich ist Gründer der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration e. V.